Militärmusik - Roman
dass er Mammut sogar einmal frühmorgens beim Joggen erwischt hatte. Mit uns diskutierte Mammut am liebsten über die Schädlichkeit von Zugluft und die Abwehrkräfte des menschlichen Organismus. In Nowosibirsk hatte er fünf Jahre lang Medizin studiert, und eigentlich hatte er Arzt werden wollen, aber das Schicksal hatte etwas anderes gewollt.
Wie Mammut nach Moskau gekommen war, wusste so recht keiner. Sogar meine Kumpels aus der Band »Mittelrussisches Plateau«, die ebenfalls aus Nowosibirsk stammten, konnten uns nichts Genaueres dazu sagen. Der Grund für seine Abreise war wohl eine Liebesgeschichte. Mammuts Freundin hatte sich angeblich in seiner Wohnung auf dem Klo aufgehängt oder so. Auf jeden Fall war es eine Geschichte, die zu seinem Heldentum passte und ihm noch mehr Charisma verlieh. Mit ihm wollten wir nun auf Tournee gehen, er war für eine solche Reise der beste Kandidat. Ein Nichttrinker und Nichtraucher, der sich sehr für Geld interessierte. Außerdem wussten wir, dass Mammut in dem Studentenheim litt, obwohl er uns das nie laut sagte. Die Mädels dort verfolgten ihn Tag und Nacht, manche fingen sogar an, ihre Begeisterung für den Sänger auf aggressive Art zu zeigen. Man hatte ihn schon ein paar Mal auf dem dunklen Flur an den Eiern gepackt. Im medizinischen Institut herrschten damals noch raue Sitten.
Unser erstes Reiseziel war Kiew. Dort hatte Katzman früher schon einmal gewohnt, und er kannte sich in der Stadt gut aus. Die zweitägige Zugfahrt benutzte Mammut, um uns über gesundes Leben aufzuklären. Die kleinen ukrainischen Dörfer, an denen wir vorbeirasten, wirkten traurig und arm. Überall, wo der Zug hielt, die gleichen Szenen: halbnackte Kinder, die versuchten, eine extrem dünne Ziege umzubringen; Männer, die auf einer Holzkiste saßen und aus großen grünen 1-Liter-Flaschen Wein tranken; alte Frauen, die volle Eimer anschleppten. In jedem Bahnhofskiosk war dasselbe Sortiment zu sehen: schrumpelige Äpfel, zwei Sorten Zigaretten ohne Filter und ein Haufen alter Zeitungen. Und jedes Mal umzingelten Dutzende von Omas den Zug und verkauften selbst gemachte Bouletten mit warmen Pellkartoffeln. Katzman und ich nahmen immer wieder Kostproben. Mammut konnte als überzeugter Vegetarier den Anblick nicht ertragen, und außerdem hatte er sowieso kein Vertrauen zum ukrainischen Volk.
»Ihr wisst gar nicht, was in den Bouletten alles drin ist«, belehrte er uns, »vielleicht haben die Alten ihre Enkelkinder durch den Fleischwolf gedreht, oder sogar Ratten verarbeitet.«
»Ukrainische Kinder sind angenehm fett im Fleisch, außerdem essen sie viel Obst und müssten eigentlich gut schmecken«, erwiderte Katzman.
In Kiew stiegen wir aus und gingen zu Galina, einer alten Bekannten von Katzman, die er als sehr gastfreundschaftlich charakterisiert hatte. Die gastfreundschaftliche Galina erwies sich als eine rothaarige vierzigjährige Dame mit schiefem Blick. Sie konnte sich an Katzman überhaupt nicht erinnern, ließ uns aber sofort in ihre Wohnung. Nicht mal unsere Namen wollte sie wissen: »Fühlt euch wie zu Hause«, sagte sie und verschwand in der Küche. Im Wohnzimmer saß ein junger Mann in grauem Anzug und rauchte eine Zigarre. Ein anderer Mann, ebenfalls in einem grauen Anzug, saß am Ende des Korridors auf einem Hocker und blätterte eine Zeitung durch. Galina bereitete für alle das Essen. Dann bat sie uns alle in die Küche. Mammut zerrte seine Gitarre aus dem Koffer und fing an, sie zu stimmen.
»Was hat euch nach Kiew verschlagen?«, fragte uns einer der Jungs im grauen Anzug.
»Wir wollen hier ein paar Konzerte organisieren und ein wenig die Szene aufmischen«, erklärte Katzman.
»Ihr könnt bei mir übernachten, wenn ihr wollt«, sagte die gastfreundschaftliche Galina, »ein freies Bett habe ich zwar nicht, aber der Teppich im Gästezimmer, der unter dem Flügel liegt, gehört euch. Da ist auch ein Kissen, eigentlich ein Fußkissen, aber als Kopfkissen kann man es auch benutzen.«
»Das kommt nicht in Frage«, mischte sich der andere junge Mann im grauen Anzug ein, »die Jungs müssen sofort von hier verschwinden.«
Die Atmosphäre in der Wohnung schien mir von Anfang an merkwürdig. Ich konnte nicht feststellen, in welcher Beziehung die Gastgeberin zu den beiden stand. Als Galinas Liebhaber konnte ich sie mir kaum vorstellen.
»Vielleicht sind alle drei unter Drogen?«, überlegte ich.
»Hört nicht auf ihn«, meinte Galina, »nehmt alles, was euch hier gefällt, ich
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