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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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brauche die Sachen sowieso nicht mehr, ich fahre nämlich nächste Woche nach England.«
    »Das werden wir noch sehen, wo du hinfährst, alte Schlampe«, sagte der junge Mann mit der Zigarre.
    Langsam klärte sich die Situation am Tisch, und uns wurde klar, in welche Falle wir da geraten waren: Vor den Moskauer KGB-Männern geflohen und erst seit einer Stunde in Kiew saßen wir in einer fremden Küche schon wieder mit KGB-Leuten zusammen und tranken Tee. Die gastfreundschaftliche Galina, die so toll kochen konnte, erwies sich als Kiews Staatsfeind Nummer eins. Die Frau hatte jahrelang für die BBC über Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine berichtet, und nun durfte sie das Land verlassen. Doch bevor ein Dissident das Land verlässt, wird er nach alter Tradition vom KGB angeworben, oder zumindest wird der Versuch unternommen. Die beiden Jungs in Galinas Wohnung sollten sie eigentlich nur beschatten. Doch mit der Zeit hatte sich eine Art Hassliebe zwischen den dreien entwickelt, und nun glichen sie fast einer Familie. Schnell packten wir unsere Sachen wieder zusammen und verabschiedeten uns.
    Es war schon recht spät, aber wir wussten, wie man in einer fremden Stadt eine Übernachtung organisiert. Im »Haus der Jugend«, einer Art staatlichen Jugendherberge, fand gerade ein regionales Tanzfestival statt. Unsere »Tanzgruppe Apfelbaum«, wie Katzman sie nannte, war zwar nicht angemeldet, doch nach einem längeren Gespräch hatte sich der Pförtner an uns gewöhnt und erlaubte uns, die Ledersofas in der Empfangshalle als Bett zu benutzen. Über Nacht wurden wir jedoch paranoid. Keiner konnte einschlafen. Uns schien, als wäre die KGB-Falle in Galinas Wohnung extra für uns aufgestellt worden. Doch wenigstens ein Konzert wollten wir auf jeden Fall veranstalten, sonst wäre die ganze Fahrt umsonst gewesen.
    Am nächsten Tag rief Katzman eine andere Kiewer Freundin an. Sie nahm uns auf und stellte sogar ihre Wohnung für das Konzert zur Verfügung. Als Belohnung bekam sie 25 Rubel von uns.
    Lisa war noch sehr jung, ging zur Schule, lebte aber allein, weil ihre Mutter einen Georgier geheiratet hatte und mit ihm nach Tiflis gezogen war. Lisa hatte auch rote Haare, wie fast alle Freundinnen von Katzman. Der holte bei ihr dann sein dickes Notizbuch heraus, in dem Hunderte von Telefonnummern in allen erdenklichen Städten standen, und sperrte sich in der Küche ein. Nach einer Stunde legte er den Hörer zufrieden auf und bemerkte: »Das Publikum für heute Abend ist uns erst mal sicher.«
    Lisas Wohnung war sehr klein, doch wir hatten einige Tricks auf Lager, wie man auf zehn Quadratmetern hundert Menschen unterbringen konnte. Die Kiewer Jugendlichen standen abends Schlange, um sich für drei Rubel die Lieder von Mammut anzuhören. In Moskau hatten wir immer zwei Rubel als Eintritt verlangt, doch in Kiew glich unsere Show einem Topereignis, außerdem mussten wir hier unter erschwerten KGB-Bedingungen arbeiten. Wir kassierten auf der Treppe vor dem Fahrstuhl. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, erwarteten wir ängstlich die grauen Männer aus Galinas Wohnung. Sie kamen aber nicht. Wir pressten unser Publikum in das leer geräumte Konzert-Zimmer und machten die Tür von außen mit Gewalt zu. Die Zuhörer saßen so eng zusammen wie Sprotten in einer Dose, keiner konnte rein oder raus. Mammut fing an zu singen:
Ich bin eine stinkende Taube,
    Krank, schmutzig und staubig.
    Die Pfütze ist meine Brause,
    Der Mülleimer ist mein Zuhause,
    Dafür kann ich aber flie-eegen!
    Das Zimmer stöhnte, die Glasscheiben an der Tür beschlugen sich mit Kondenswasser von den schwitzenden Fans. Die Jugend von Kiew erwies sich als begeistert. Katzman und ich standen vor der Tür und hörten zu.
    »Gib es ihnen, Mammut, misch sie auf«, rief mein Freund und Konzertmitorganisator.
    Dann verdrückten wir uns in den Waschraum, wo wir das ganze Geld in die Wanne warfen. Sie wurde zwar nicht voll, aber für ein paar Monate hatten wir ausgesorgt. Katzman stieg in die Wanne und fing an, unser Geld zu zählen. Ich stand einfach so daneben und zündete mir eine Zigarette an. Nichts wünschten wir uns in diesem Moment mehr, als mit dem Geld so schnell wie möglich zu verschwinden. Es ging leider nicht. Jemand klopfte an die Tür. Ich machte auf. Es war die rothaarige Lisa. Sie schaute in die Badewanne, ihre Augen wurden ganz groß.
    »Ihr seid ja richtig reich geworden!«
    Sie hatte bestimmt noch nie eine halbe Badewanne voll mit Geld gesehen.
    »Nein, es

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