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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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Hand geschüttelt und waren dann alle nach Hause gegangen. Plötzlich stellte Mammut fest, dass er sich ganz allein in einer fremden Wohnung befand und nicht einmal die Türen richtig abschließen konnte, denn das Schloss war kaputt. Er kam zu der Überzeugung, dass wir während des Konzerts vom KGB verhaftet worden waren und er auch gleich abgeholt werden würde. Er bekam panische Angst und war sich nicht sicher, ob er die Qualen der Folter mutig überstehen könnte. So rannte er sinnlos durch die Wohnung und zuckte bei jedem Geräusch zusammen, bis er in Lisas Kühlschrank eine Flasche Wodka fand, die er zügig leerte. Danach wurde ihm schlecht.
    Unter diesen Umständen mussten wir der armen Lisa die 25 Rubel Miete wieder abnehmen. Das Taxi, das uns dann zum Moskauer Bahnhof von Kiew brachte, musste unterwegs fünfmal anhalten. Mammut ging es nicht gut. Erst auf dem Bahnhof erholte er sich langsam. Es war fünf Uhr morgens, der erste Zug nach Moskau fuhr erst in einer Stunde. Wir saßen allein im Wartesaal, direkt über uns hing ein riesengroßes rotes Transparent. Mammut versuchte es zu entziffern: »Der Kommunismus wird siegen« stand dort. »Gott sei Dank!«, rief Mammut erleichtert. Und schlief blitzschnell ein.

Die Läuse der Freiheit
    Unter Gorbatschow verlor die sozialistische Ideologie vollends ihre Glaubwürdigkeit. Ihr Antlitz wurde nicht menschlicher, sondern verzerrter. Eine Ideologie, die keine Angst mehr einjagt, hat keinen Anspruch auf Ewigkeit, sie verlor massenhaft die Seelen ihrer Träger – der Kommunisten-Karrieristen, denen nun mehr und mehr Zweifel kamen, ob sie sich immer richtig verhalten hatten während ihrer Karriere in der Kommunistischen Partei. Keiner von ihnen glaubte mehr ernsthaft an den Sieg des Sozialismus. Das galt auch für den Direktor des Betriebes, in dem mein Vater arbeitete: Dieser ehemalige Oberst, seit dreißig Jahren in der Partei, sagte bei einer privaten Versammlung im Sportsaal der Firma ganz offen und ohne Angst, er bezweifle, dass die sozialistische Ideologie eine Zukunft habe und wolle deswegen noch in diesem Jahr mit dem Ausbau seiner zweiten Datscha fertig werden. Für meinen Vater kam diese Botschaft so unerwartet wie ein Blitzschlag. Er hatte nämlich den Bau seiner ersten Datscha noch gar nicht angefangen, stattdessen hatte er vergeblich jedes Jahr versucht, in die Partei einzutreten, und fühlte sich nun von den Kommunisten verladen. Anstelle der alten Ideologie, die in Sachen »Eigeninitiative oder wie baue ich meine Datscha auf Kosten des Betriebes« nur Parteimitglieder berücksichtigte, kamen neue, zeitgemäßere Orientierungen ins Spiel.
    1985 sprach mein Vater zum ersten Mal in der Küche vom »Business«. Er erzählte meiner Mutter, dass sein ehemaliger Chef, der vor zwei Jahren als Leiter der Abteilung Planwesen wegen unvorschriftsmäßiger Verwendung von Baumaterialien zu anderthalb Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden war, wieder aufgetaucht sei und jetzt ein eigenes »Business« aufgebaut habe. Nun versuche er meinen Vater zu überreden, für ihn zu arbeiten, für das doppelte Gehalt. Doch mein Vater war noch sehr konservativ; dieses »Business« roch für ihn zu stark nach Knast. Ich war gerade an dem Abend mit ganz anderen Problemen beschäftigt, ich bekämpfte nämlich Läuse, die sich in meinen Kopfhaaren eingenistet hatten. Ich saß mit einem Plastikbeutel auf dem Kopf im Nebenzimmer und betrachtete eine große Karte der Sowjetunion, die an der Wand direkt vor meiner Nase hing. Der Gorbatschow'sche Sozialismus mit menschlichem Antlitz hatte dem Land zwei neue Spielzeuge beschert: »Business« für die Väter und »Freiheit« für die Söhne. Für mich fing diese leider mit Läusen an.
    Die alternative Jugendkultur stand Mitte der achtziger Jahre in voller Blüte, und überall wimmelte es von Anhängern der Hippie- bzw. Punk-Bewegung. Allein der Leningrader Rockklub zählte 800 Bands, und per Anhalter herumzureisen war große Mode. »Von Moskau nach Nagasaki, von Europa bis zum Mars«, sang Umka, die russische Janis Joplin, eine der Stimmungskanonen der damaligen Zeit.
    Die Jugendlichen reisten von einer Stadt zur anderen, alle kannten sich und konnten überall »Flat and Food« finden, wie es hieß.
    Mein Freund Katzman und ich wollten im Sommer 1985 wieder einmal zu unserem Lieblingszeltplatz nach Lettland trampen. Dort ging der Spaß schon im Mai los und endete erst im November, wenn der erste Schnee vom Himmel fiel. Doch

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