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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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Vergnügungsorganisators übertragen. Zu meinen Pflichten gehörte damit nun auch die musikalische Gestaltung des Tages. In der Baracke hatten wir einen alten »Heimat«-Plattenspieler und fünf Schallplatten. Und ich allein entschied, welche Platte zuerst abgespielt werden durfte. Zu diesem Zeitpunkt kannten die Soldaten das Repertoire schon lange auswendig und hatten bereits eine sehr enge Beziehung zu dieser Musik entwickelt. Beim Aufstehen um sechs legte ich die Gruppe »Rollende Steine« auf. Die Platte hieß»Lass das Blut fließen« und wurde von mir als Weckmusik und gleichzeitig als Stimmungsmuster für den Anfang des Tages verordnet. »Nicht immer läuft alles wie du denkst«, schrie der Sänger und zwanzig Soldaten sprangen aus ihren Betten. »Nicht immer kriegst du, was du willst«, rief der Sänger, und zwanzig Soldaten gingen zum Frühstück in den Speisesaal.
    Nach dem Frühstück spielte ich die Platte mit dem roten Frauenbein auf dem Cover. Sie hieß»Rhythmische Gymnastik« und diente als Aufruf zu den Arbeitsmaßnahmen, die man sich seit dem Rust-Zwischenfall ausgedacht hatte. Die weibliche Stimme aus dem Lautsprecher klang sehr munter. Sie versprach Stärkung der physischen und geistigen Gesundheit, gute Laune rund um die Uhr und eine Verbesserung der Figur für alle, die an die heilsame Kraft der rhythmischen Gymnastik glaubten. Alle Übungen begannen mit dem Befehl: »Und....« Im gleichen Rhythmus schoben meine Kameraden schnell den Schnee vom Hof, richteten die Raketen neu auf und machten die Baracke sauber.
    Zu Mittag gab es immer Suppe. Danach saßen alle im Hof herum, und ich wechselte die Platte. Für unsere Ruhestunden am Nachmittag hatte ich eine mit meditativer Musik. »Stellen Sie sich vor«, so begann eine tiefe männliche Stimme, »Sie sind im Wald. Sie hören das Flüstern der Bäume und das Singen der Vögel. Ihre Augen schließen sich. Sie sind entspannt.« Zwei weitere Schallplatten, die ich abends abspielte, waren von russischen Bands. Die eine hieß»Rote Gitarren«: ukrainische Schlagermusik mit der Sängerin Sofia Rotaru. Die zweite Band hatte den Namen »Erdlinge« und spielte Heavy Metal. Abends saßen wir am Tisch, qualmten selbst gedrehte Zigaretten und zockten mit selbst gemachten Karten. Die »Erdlinge« sangen: »Du schuftest und schuftet, gehst müde ins Bett und träumst dann nicht von den Mädels, sondern vom grünen Gras, das im Garten deines Hauses wächst.«
    Der Kommandeur unserer Einheit war ein Oberst, den wir höchstens einmal in der Woche sahen. Er war fast zwei Meter groß und trug einen großen Schnurrbart. Man erzählte sich, dass der Mann als Jungoffizier eine glänzende Karriere vor sich gehabt hatte, doch dann sei ein tragischer Vorfall dazwischen gekommen: Er hatte nämlich aus Versehen eine Frau getötet. In einer Disko war während des Tanzens eine Schlägerei ausgebrochen, und der Offizier hatte versucht, die Ordnung wiederherzustellen. Er hatte seine Pistole gezogen und in die Luft geschossen, aber dabei eine junge Frau getroffen, die auf der Stelle tot war. Bei russischen Pistolen fliegen sehr oft die Kugeln in alle möglichen Richtungen. Zur Strafe wurden ihm sämtlich Karrieremöglichkeiten verbaut, und er musste bei uns im Wald verwildern. Ein Leben lang. Er führte ein bescheidenes Leben und war nach wie vor unverheiratet. Seine einzige Freude war eine russische Safari, die er jeden Winter veranstaltete. Im Wald konnte man oft wilde Hunde sehen, die nach Süden zogen. Auf diese Tiere machte unser Oberst Jagd. Betrunken befahl er seinem Fahrer, dem ältesten Sohn des sowjetischen Botschafters in Kolumbien, den Jeep voll zu tanken. Danach fuhren sie die ganze Nacht durch den Wald, und jedes Mal, wenn der Oberst irgendwelche Geräusche hörte, schoss er aus dem Fenster ohne zu bremsen oder gar auszusteigen. Als geborener Krieger, traf er selbst bei so einer blinden Jagd fast immer irgendwas.
    Ende Mai, wenn der Schnee im Wald schmolz, gingen wir los, um die Hundeleichen einzusammeln. Einmal fanden wir sogar ein totes Schwein. Wir dachten zuerst, es sei ein von unserem Oberst abgeschossenes Wildschwein. Seltsamerweise hing es an einem Ast im Baum. Wie kommt ein Schwein auf einen Baum?, überlegten wir. Später stellte sich heraus, dass einer unserer Kasachen das Tier aus dem Lebensmittellager geklaut und im Wald versteckt hatte. Obwohl die neu angekommenen Jungs bei uns zunächst wie Soldaten zweiter Klasse behandelt wurden, weil nur wenige von

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