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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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in zwei Schichten, die sich alle zwölf Stunden abwechselten. Zu jeder Schicht gehörte ein Offizier als Entscheidungsbefugter, sechs starke Männer zum Drehen des Radarkranzes, ein Auswerter, der vor dem Bildschirm saß, drei Melder für die drei Radiorelais, drei Raketenbedienungen, die auf den LKWs saßen, und ein Außenposten, der mit einem Gewehr fünf Meter vor dem Bunker unter einem Baum stand und sich im Falle eines Bodenangriffs möglichst laut wehren sollte, damit wir im Bunker rechtzeitig die Tür von innen verriegeln konnten.
The Man with a Gun
, wie wir ihn nannten, war der blödeste Posten von allen. Selbst die Jungs, die das Radar drehten, profitierten noch von diesem Stumpfsinn – sie stärkten zumindest ihre Muskeln, während der Mann unterm Baum sich nur sinnlos die Nase abfror. Ich genoss eine Schnellausbildung zum Radiorelaismelder und durfte daher schon nach zwei Monaten zusammen mit anderen Soldaten Wache schieben. Wir bildeten ein Team. Es waren immer dieselben Jungs, nur die Offiziere wechselten sich jeden Tag ab. Der eine war ein Säufer, der andere schwul, der dritte ein Karrierist und der vierte ein Komiker. Letzterer war der Offizier, der uns in den Wald gebracht hatte. Normalerweise verlief unsere Wache ziemlich ruhig. Der Säufer brachte immer ein paar Flaschen zu trinken mit, und der Schwule trug lustige Perücken. Alle Offiziere waren nämlich glatzköpfig, wegen der Radarstrahlung. Der Komiker erzählte uns abgedroschene Armeewitze, und der Karrierist starrte unentwegt auf den Radarschirm.
    Bis eines Tages im Juni die berühmte Cessna von Mathias Rust auftauchte und uns alle zum Narren hielt. Es war wie im Krieg, keine gemütlichen Schichtdienste mehr, sondern 24 Stunden volle Einsatzbereitschaft. Eine ganze Woche lang machte Mathias Rust mit uns, was er wollte. Mal verschwand er vom Radarschirm, dann tauchte er wieder auf, aber wir wussten nicht, ob es dasselbe Flugzeug war oder nur ein betrunkener Kolchosvorsitzender, der zu seiner Tante flog. Im russischen Luftraum wimmelte es damals von kleinen Flugzeugen ohne Funkgerät, weil solch ein Gerät im Flugzeug so etwas Ähnliches wie ein Radio im Auto war, nämlich ein Luxusteil, das gerne geklaut wurde, für Haus, Hof und Garten.
    Mathias Rust wurde zu unserem Verhängnis. Er landete mehrmals. Wir saßen vor dem Radarschirm, ohne Frühstück, ohne Zigaretten, und irgendwo da draußen in den unendlichen Kartoffelfeldern Russlands saß der Deutsche und bediente sich mit russischem Benzin. Der Säufer hatte Glück. Kurz bevor Rust auftauchte, wurde er für zwei Wochen vom Dienst suspendiert, wegen eines kleinen Brandes, den er im Offiziersaufenthaltsraum veranstaltet hatte. Er hatte im Dunkeln nach einer Flasche mit hochprozentigem Alkohol gesucht und dabei Streichhölzer benutzt. Die Flasche war umgekippt und er wäre in den Flammen beinahe ums Leben gekommen. In der Nähe von Jaroslavl verschwand die Cessna wieder, erst zwei Tage später tauchte sie auf dem Radarschirm wieder auf. Wir schoben pausenlos Wache, Rust kreiste um uns herum. Der Komiker sagte: »Das ist ein fliegender Schnapsladen, der umkreist genau die Gebiete, wo sie Versorgungsprobleme mit Schnaps haben.«
    Der Schwule hatte Dienst, als Rust nur noch hundert Kilometer von unserem Posten entfernt war. Er wurde immer nervöser, konnte die ganze Nacht nicht ruhig sitzen und schwitzte dabei wie eine Sau. Der Karrierist dagegen bewahrte Ruhe. In der Nacht, als er Dienst hatte, flog Rust direkt über unsere Köpfe weg. Man brauchte kein Radar mehr, um ihn zu sehen. Der Karrierist schlug die Dienstvorschriften auf, wo stand: »Bei jeder Panne zuerst den Vorgesetzten informieren.« Der Karrierist griff zum Telefon und meldete den Vorfall dem Divisionsstab. Der Dienst habende Stabsoffizier rief den Korpuskommandanten an, der wiederum seinen Vorgesetzen benachrichtigte, und so lief es immer weiter, bis Rust auf dem Roten Platz landete. Daraufhin sagte der damalige Marschall der Flugabwehrkräfte Archipow: »Ich führe eine Armee, die aus unfähigen, karrieresüchtigen Idioten besteht, die sich jeder Verantwortung entziehen«– und erschoss sich. Es kam zu einer Kettenreaktion, zu einer Serie von Selbstmorden bis hinunter zum Stabsoffizier. Unser Säufer sagte: »Schade, dass ich in der Nacht nicht am Hebel saß. Den Spinner hätte ich sofort vom Himmel gepustet, ohne den lieben Gott um Erlaubnis zu fragen.«
    Nach diesem Vorfall verloren viele Offiziere ihren militärischen

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