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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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sonst immer tolerant waren, bringst du durch dein blödes Verhalten auch in Verlegenheit. Außerdem: Wie willst du deine Heimat verteidigen, wenn der Feind angreift? Etwa mit einem Löffel?«
    Alles war umsonst. Der kleine Mann aus Ufa wehrte sich schweigend gegen jedes Argument. Unser Gruppenwille war aber stärker, so zwangen wir ihn zum Mitmachen. In der Nacht danach schlief ich auf meiner Radiorelaisstation. Alle Geräte waren in Ordnung, sie summten und piepten, strahlten Wärme und Gemütlichkeit aus. Plötzlich hörte ich ein entsetzliches Geräusch, als würde draußen eine Bombe hochgehen. Ich sprang aus der Station. In der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass meine schicke Antenne total verbogen war. Auf dem Berg Kaukasus sah ich einen riesigen Vogel, der irgendetwas auf Baschkirisch schrie. Aus dem Bunker kamen meine Kumpel und der Offizier angelaufen. Alle wollten wissen, was los war. Es war der Pazifist, der mitten in der Nacht beschlossen hatte, sich aufzuhängen. Dafür hatte er die zehn Meter hohe Antenne meiner Relaisstation ausgewählt und war dort hochgeklettert. Die Antenne stand aber in sumpfigem Boden und konnte den Mann aus Ufa nicht halten. Sie bog sich, der Soldat flog durch die Luft und landete auf dem Berg Kaukasus. Das rettete ihm das Leben. Wir haben damals nicht umsonst asphaltiert, freute ich mich. Der Junge war uns eigentlich ganz sympathisch. Er hatte nur eine Pazifistenmacke, sonst war er in Ordnung. Nun hatte er sich noch ein paar Beulen verschafft. Die Offiziere wollten ihn loswerden, aber unser Soldatenkollektiv hatte ihn unter seine Fittiche genommen. Mit der Zeit entwickelte er sich zu einem richtig schießwütigen Soldaten und hatte keine Abneigung mehr gegen Übungen irgendeiner Art.
    ***
    Eltern- und Mädchenbesuche waren im Dritten Moskauer Abwehrring nicht vorgesehen. Wegen der hohen Sicherheitsstufe. Auch mit dem Urlaub für die Soldaten sah es schlecht aus. Besonders für die, die mit der geheimen Technik zu tun hatten. Einen Kasachen vom Außenposten hatte unsere Leitung einmal mit einem zweiwöchigen Urlaub ausgezeichnet, nachdem man ihn auf seinem Posten vergessen hatte und er 36 Stunden am Stück unter seinem Baum hatte verbringen müssen. Er war einer von der Sorte, die kaum Russisch konnten. Der Soldat hieß Kochubei oder so ähnlich. Eines Tages erklärte unser Oberst, Kochubei hätte Urlaub verdient. Der Junge bekam eine Paradeuniform, eine neue schöne Aktentasche und wurde mit einem LKW zum nächsten bewohnten Ort gefahren, der etwa siebzig Kilometer von uns entfernt lag. Nach drei Tagen kam Kochubei aus dem Wald zurück. Seine Uniform war zerfetzt, und er hatte sich drei Tage von Kleintieren und Insekten ernährt. Sogar den Lederersatz von der Aktentasche hatte er abgezogen und gekaut, um seinen Hunger zu stillen, und war nun sehr froh, seine Einheit und seinen Posten wiedergefunden zu haben.
    Wir unterzogen Kochubei einem Verhör. Er meinte, er sei von ganz weit weg zur Armee mit einem Flieger gebracht worden und könne unmöglich allein den Weg zu sich nach Hause zurückfinden. »Zeig uns auf der Karte, wo du geboren bist«, forderte ihn mein Freund Andrej auf und brachte eine große Weltkarte aus dem Leninzimmer, in dem jeden Montag unsere Politinformationen stattfanden. Nach langem Suchen fand Kochubei seinen Heimatort auf der Karte und freute sich. »Ich komme aus Chuj«, sagte er und stieß mit dem Finger in die Karte. »Das ist doch in Afghanistan«, erwiderten wir misstrauisch. »Ja, ja Afghanistan«, freute sich Kochubei. Viele reiche Tadschiken würden in Afghanistan nach einer Art Ersatzrekruten suchen, die für ihre Söhne die Zeit in der russischen Armee abbüßen müssten. Manche würden dafür Geld zahlen, aber oft würden die jungen Rekruten einfach geklaut, meinte Kochubei. Ein reicher tadschikischer Kolchosvorsitzender hätte ihn von seinen Eltern für zwei Jahre ausgeliehen und zehn Lämmer dafür gegeben, erzählte er uns.
    Das Besuchsverbot galt nicht für alle in unserer Einheit. Manche Eltern konnten ihren Nachwuchs doch ab und zu einmal trösten. Der schwarze Wolga des Vaters von Choroschko, des doppelten Helden der Sowjetunion, war zum Beispiel oft bei uns zu sehen. Danach gab es immer köstliche Sachen für alle. Der General Galaktionow, dessen Sohn auch bei uns diente, kam gelegentlich vorbei, und ein Wagen des Außenministeriums brachte den beiden Zwillingen des sowjetischen Botschafters in Kolumbien immer wieder einmal kiloweise

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