Milliardengrab (German Edition)
Wunder bei diesen
Wetterverhältnissen, entschuldigte Thomas seinen braven Gaul. Die Parkfläche
vor dem Restauranteingang war mit Autos vollgestellt. Thomas stellte den Wagen
etwas abseits auf dem Weg zur naheliegenden Tankstelle ab. Der Schneefall hatte
etwas nachgelassen und es schien wieder auf zu klaren. Dafür wurde es kälter. Auf
der Autobahn waren die ersten Streufahrzeuge auszumachen. Das Restaurant war
überfüllt und es ging zu wie in einem Bazar. Auf einen Sitzplatz musste man
warten. Für Thomas war es gleichgültig, er musste ohnehin warten. Am Kiosk
erstand er einen Spiegel und las im Stehen die Leserbriefe und den Hohlspiegel.
Nach etwa fünfzehn Minuten Wartezeit wurde ein kleiner Tisch frei. Er bestellte
sich Zitronentee. Der Kellner mit dem Temperament einer Schlaftablette
servierte endlich den Tee, als sich ein etwas übergewichtiger Zeitgenosse zu
ihm gesellte. Der Mann trug einen schweren Ledermantel.
»Wir
haben telefoniert?«
»Das
vermute ich, Szabo, Thomas Szabo. Ich bin vom Wochenspiegel.« Der Ankömmling
sah sich um wie gehetztes Wild und fragte Thomas schließlich:
»Bin
ich froh, dass Sie hier sind. Mit keinem Menschen kann ich reden. Darf ich mich
setzen?«
»Natürlich.«
Er
setze sich auf den Stuhl neben Thomas.
»Herr
Szabo, ich habe Schiss, Angst wie noch nie in meinem Leben. Keine Frage, die
wollen mich umlegen!«
»Jetzt
beruhigen Sie sich erst einmal, dann sehen wir weiter. Erzählen Sie mir, warum
Sie in dieser Lage sind, das wird ja nicht über Nacht gekommen sein. Sie für
einige Zeit sicher unterzubringen, sodass Sie keiner findet, ist wirklich kein
Problem. Wie heißen Sie denn?« Der Mann schwankte.
»Wenn
Sie mir nicht einmal Ihren Namen anvertrauen, wie soll ich Ihnen dann helfen?
Sie sind vielleicht eine Nummer.«
»Ja
natürlich … Sie haben recht. Aber mir ist in letzter Zeit so viel zugestoßen.
Ich fürchte mich schon, wenn es an der Tür klingelt. Manchmal weiß ich nicht,
wo mir der Kopf steht ... Entschuldigung, könnten Sie mir einen Ausweis
zeigen?« Thomas hob die Augenbrauen an und zückte seinen Presseausweis.
»Bitte
verstehen Sie meine Lage, es ist wirklich ein Horror … Ich bin Jürgen Watzke
aus München. Ich betreibe einen Imbissstand in Schwabing, noch ...«
»Gut,
jetzt verschnaufen Sie erst einmal. Was möchten Sie trinken? Oder haben Sie
Hunger?«
»Wo
denken Sie hin, Herr Szabo. Mir ist der Appetit gründlich vergangen, seit Tagen
kriege ich kein Auge mehr zu. Wenn mich einer kurz anschaut, denke ich meine
letzte Stunde ist gekommen. Am liebsten würde ich eine ordentliche Portion
Schnaps inhalieren, um diesen ganzen Scheiß wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen!
Ich nehme auch so einen Pott mit heißem Tee. Wenigstens ist das etwas Warmes,
so ein Sauwetter.«
Thomas
wartete und schwieg. Eine Kellnerin brachte den Tee und Watzke erzählte. Erst
durcheinander, dann doch zusammenhängend. Er ließ absichtlich kein Band
mitlaufen, um den Kerl nicht abzuschrecken. Thomas hatte tatsächlich die
Befürchtung, dass er hier im Lokal einen Nervenzusammenbruch bekam - der Mann
war am Ende.
»Ich
habe meine Knete als Fluchthelfer verdient, DDR.«
Ganz
so unschuldig, wie er sich gab, war der Bursche nicht. Thomas war auf der Hut.
Möglich, dass der Kerl von der anderen Abteilung war - bei denen konnte man nie
wissen. Die einst so klaren Fronten waren zwischenzeitlich vernebelt.
»Von
solchen Geschäften habe ich gehört.«
»Lange
Zeit lief alles glatt, dann haben Sie mich erwischt, in Zinnwald.«
»Wo
ist das?«
»Der
Grenzübergang nördlich von Prag in die DDR, ich meine ehemalige DDR. Teplice
auf der tschechischen Seite, etwa hundertfünfzig Kilometer vor Dresden. Sie
brachten mich nach Berlin, nach Hohenschönhausen. Ein Stasi-Knast in der
Genslerstraße. Heute eine Gedenkstätte. Es war wirklich verdammt hart, Herr
Szabo, menschenverachtend! So etwas kann sich jemand der nicht dort war nicht
vorstellen. Die reinste Folterkammer, wirklich. Ich war nach der Wende dort,
musste raus, sonst hätte ich in meiner ehemaligen Zelle geheult. Tatsache! Oh
Mann, ich darf gar nicht daran denken, wie die mich gefoltert haben. Wirklich
gepeinigt. Davon krieg ich heute noch eine Gänsehaut! Nachdem ich das
überstanden hatte, begann ich alles aufzuschreiben. So eine Art Tagebuch im
Nachhinein. Mein ganzes Leben lang habe ich nichts geschrieben, aber das musste
ich einfach zu Papier bringen.«
»Und
wo ist das Tagebuch
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