Milliardengrab (German Edition)
jetzt?«
»Ich
habe es mitgebracht. Hier.«, er griff in die Innentasche seines Mantels, den er
nicht ausgezogen hatte, und reichte Thomas ein dickes Schulheft. Es war mit
engen Buchstaben, in einer für Thomas überraschend schönen Schrift,
vollgeschrieben. Er legte das Heft auf die Seite und hörte erst einmal, was
Watzke zu berichten hatte. Watzke erzählte von den Schikanen im Stasi-Knast.
Später berichtete er detailliert von Hombach und der Aktion »Kontoeröffnung«.
Thomas kam aus dem Staunen nicht heraus. Es war einfach unglaublich und trotzdem
ein ganz einfaches System. Wer immer sich das ausgedacht hatte - er wusste, was
er da durchzog und vor allem wie. Im Detail schilderte Watzke den Marsch von
Bank zu Bank und von Land zu Land. Es war kaum vorstellbar, dass er sich alles
aus den Fingern sog.
Alle
seine Erlebnisse mit Schubert gab er nicht zum Besten. Aber das Relevante
erfuhr Thomas, der spürte, wie sein Blut in den Schläfen pochte. Er war jetzt
auf die Reaktion von Eisenstein gespannt.
»Herr
Watzke, sagen Sie mir bitte: Ist das wirklich wahr? Oder haben Sie sich da eine
spannende Geschichte ausgedacht?«, vergewisserte Thomas sich vorsichtshalber,
weil er Eisensteins skeptische Reaktion ahnte. Er war so perplex, dass er einen
Augenblick lang tatsächlich dachte, er sei einem irren Spinner aufgesessen und
nicht einem Mitläufer der ehemaligen Stasi.
»Herr
Szabo, was denken Sie? Dass ich zum Spaß Hunderte Kilometer durch den Schneesturm
fahre, meine Imbissbude zusperre, nur um Sie aufs Glatteis zu führen? Ich habe
Schiss. Angst, die Sie sich nicht vorstellen können. Die brauchen mich nicht,
das ist mir bald klar geworden. Die wollen nur verhindern, dass ich meine
Geschichte erzähle, dass alles publik wird und genau das ist meine einzige
Chance. Sie sind jetzt mein letzter Strohhalm, steht diese ganze Geschichte
erst einmal in der Zeitung, dann ist es der Stasi, egal ob ich noch lebe oder
nicht. Dann gibt es kein Geheimnis mehr, dass ich ins Grab mitnehmen könnte.
Ich hoffe, dass diese Schweine dann kein Interesse mehr an mir haben, verstehen
Sie? Ich war bei der Süddeutschen, gerade dass sie mich nicht ausgelacht haben.
Wie einen Spinner haben sie mich behandelt.«
Das
konnte Thomas nachvollziehen. Watzkes Geschichte war auch zu abenteuerlich. In
Verbindung mit dem, was Thomas schon wusste, machte es jedoch Sinn. Er musste
sich entscheiden. Glaubte er Watzke oder war der ein Konfident? Er entschied
sich erst einmal Watzke keine böse Absicht zu unterstellen, nahm sich aber vor,
weiterhin auf der Hut zu sein.
Bei
diesen Gedanken kam ihm das erste Gespräch mit Eisenstein in den Sinn. Thomas
stand in habt acht Stellung vor dem Allmächtigen. Eisenstein in seiner
unnachahmlich verbindlichen Art referierte.
»Mein
lieber Herr Szabo, Sie denken doch immer daran, dass Sie nicht der Adenauer
sind.« Thomas riss die Augen auf und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er
verstand nur Bahnhof. Eisenstein, vor dem ihn niemand gewarnt hatte, half nach.
»Also,
der Adenauer, ich setze voraus Sie wissen, wer das war, hat einmal zu einem
Naseweis, der ihn mit Fragen löcherte, gesagt: junger Mann, was interessiert
mich der Unsinn den ich gestern von mir gegeben habe. Jetzt und hier ist heute.
Thomas Szabo! Sie dürfen das nicht für sich in Anspruch nehmen, wenigstens
nicht, bevor Sie nicht auf meinem Stuhl sitzen, klar?«
Thomas
nickte und erwartete geduldig die nächste Weisheit.
»Wie
ich hörte, sind Sie ein Studienabbrecher, ein Muttersöhnchen und vollkommen neu
im Zeitungsgeschäft. Als Halbgebildeter kann man vielleicht als Mediziner
durchkommen, aber das Journalistendasein erfordert mehr, absolute Kompetenz und
vor allem einen messerscharfen Verstand. Da müssen Sie nicht gleich
verzweifeln, es ist wie beim Messer, man kann es schleifen, wenn es stumpf ist.
Wir sind keine Zeilenschinder, auf uns lastet gesellschaftspolitische Verantwortung.
An sich Aufgabe der Politik, … aber wir sehen ja, was da rauskommt. Ich gebe
Ihnen einen guten Ratschlag mit auf den dornigen Weg und den sollten Sie beherzigen:
Was immer die Leute Ihnen erzählen, egal ob Raubmörder, Politiker oder Pfaffen,
glauben Sie kein Wort, überprüfen Sie jedes Komma, das man Ihnen unterjubelt.
So, und jetzt vergeuden Sie meine Zeit nicht länger.«
An
diesen Ratschlag Eisensteins dachte Thomas jetzt im Zusammenhang mit Watzke.
Glauben oder nicht? Immer konnte Eisenstein nicht recht haben - also würde er
vorerst Watzkes
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