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Milliardengrab (German Edition)

Milliardengrab (German Edition)

Titel: Milliardengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Strassegger
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ja«, er gab sich betont freundlich, »bevor ich es vergesse, ich
habe da etwas für Sie.« Er stand auf und kam zu mir. Ich stand ebenfalls auf.
Er drückte mir eine Hochglanzfotografie in die Hand. Ein etwa fünfjähriges,
blond gelocktes Mädchen lächelte in die Linse der Kamera. Die Zahnlücke im
Oberkiefer war nicht zu übersehen. Als ich dieses Mädchen zum letzten Mal
gesehen hatte, gab es diese Zahnlücke noch nicht. Dann erkannte ich den Mann im
Hintergrund des Bildes. Seinen Namen wusste ich nicht, doch wer er war und was
er tat. Es war der Beamte, der mich in Zinnwald verhaftet hatte. Das Mädchen
auf dem Bild war Kathrin, meine kleine Tochter, aufgenommen hatte man das Foto
in Augsburg. Wenn es irgendetwas auf dieser Erde gab, dass mir etwas bedeutete,
dann war sie es. Ich konnte es nicht verhindern, die Tränen schossen mir in die
Augen. Der Vernehmer wandte sich rücksichtsvoll ab und schaute aus dem Fenster.
Ich wendete das Foto und sah einen Eindruck: »Eigentum
des MfS«.
     
    Glasbausteine.
Überall diese verfluchten Glasbausteine - was hätte ich für normale solide
Eisengitter gegeben, wie sie in jedem Knast üblich waren. Und dann noch die
Gummisohlen. Alle, ich eingeschlossen, trugen Gummisohlen an den Schuhen. Nur
Licht drang durch die Glassteine ins Gebäude, kein Laut. Eine geisterhafte,
beklemmende, morbide Stille herrschte im ganzen Zellenhaus. Nichts war zu
hören, kein Vogel, der zwitscherte und kein Leidgenosse, der versuchte, seine
Ängste hinauszuschreien. Grabesstille. Der Tod war nicht im Haus. Die Ahnung
aber, dass er ständig ums Haus schlich verfolgte mich jede Minute, die ich wach
war.
    Mit
einem Schlag wurde mir das bewusst. Es gab nur ein Geräusch. Die schrille
Wecksirene um sechs Uhr morgens. Täglich, pünktlich. Nein, ein Geräusch hätte
ich beinahe vergessen! Die Futterklappe. Morgens, mittags und abends, mit einer
kaum zu überbietenden Lieblosigkeit wurde das »Futter« durch die etwa
Schuhkarton große Klappe gereicht. Man sah vom Schließer, wenn man schnell war,
den Bauchausschnitt - dann war das Intermezzo beendet. Mit diesen Erkenntnissen
legte sich eine schwere Niedergeschlagenheit auf mein Gemüt - soweit dies in
meiner Lage noch möglich war. Ich nahm einen tiefen, seufzenden Atemzug. Einen
von jenen, die man stechend in der Brust spürt. Man hatte mich in meiner Zelle
eingeschlossen, ungefesselt.
    Meine
Zeit im U-Boot war fürs Erste vorbei, soweit die erfreuliche Seite dieses
Tages. Eine Toilette, ein Waschbecken, ein Tisch samt Hocker und ein Bett, eine
Holzpritsche. Welch ein Luxus! Es war nicht möglich mich dagegen zu wehren,
Schmetterlinge machten sich in meinem Bauch breit - unglaublich, aber wahr. Es
freute mich, dass ich in einer Zelle eingeschlossen war - tatsächlich. Ich war
dem U-Boot entkommen, das musste ich erst einmal verdauen. Wie armselig Wünsche
sein können.
    Kathrins
fröhlich lachendes Gesicht geisterte jetzt unablässig vor meinem Auge - ich
konnte mich nicht mehr beherrschen, ich heulte hemmungslos. Niemals wäre mir
der Gedanken gekommen, dass ich mit meinen Aktionen das einzige Wesen, das mir
wirklich etwas bedeutete, in Gefahr bringen konnte.
    Natürlich
gab es da noch Kathrins Mutter. Nach einem Jahr kamen wir beide zur Erkenntnis,
dass eine verkrachte Existenz wie ich und eine auf Sicherheit bedachte Frau wie
sie einfach nicht zusammenpassten. Wir trennten uns ohne Zank und Hader. Und
seit ich meinem neuen Gewerbe nachging, gab es keine Auseinandersetzungen wegen
des Unterhalts mehr.
    Wenn
sie mir endlich sagen würden, was sie von mir erwarteten. Falls sie mich nur in
diesem Verlies schmachten lassen wollten, mussten sie mich nicht einschüchtern
und bedrohen. Auch so war ich bereit alles zu tun, was sie von mir verlangten.
Alles.
    Was
sollte das bedeuten? Wer hatte mich verraten? Die für mich wichtigste Frage
war: Was stand mir eigentlich bevor? Sibirien? Oder gar ein Peloton im
Morgengrauen? Oma hatte dieses Wort verwendet, ihr Mann war von einem
Standgericht der Wehrmacht füsiliert worden. Das erzählte sie manchmal mit
Wehmut. Wann würde dieser Alptraum ein Ende haben? Und wie würde dieses Ende
aussehen, wenn es denn überhaupt jemals eines geben sollte? Mein Heulkrampf
legte sich - meine Furcht steigerte sich ins Abstruse. Die Ängste in meinem
Kopf fuhren Karussell - so heftig, dass ich von einem Schwindelanfall geplagt
wurde und zu wanken begann. Ich übergab mich. Nach einigen Minuten fühlte ich
mich physisch wieder

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