Millionär
so selbstverständlich für mich, dass ich gar nicht erst gefragt habe. Hast Du ne Ahnung, wie die mich gerade verarschen auf der Arbeit?
Mist. An Flik habe ich gar nicht mehr gedacht. Es folgen 141 ähnliche Kommentare, die sich gewaschen haben. Wenigstens ist Shahin so taktvoll, mich nach Kommentar 32 zu verlassen, um sich wieder ganz seiner Wasserpfeife hinzugeben. Schwerfällig und entmutigt trotte ich zu Shahins Tresen.
»Tust du mir einen Gefallen, Shahin?«
»Ja?«
»Nimm die Seite ausm Netz. Flik hatte Recht. Es war eine Scheiß-Idee.«
Shahin kratzt sich mit nachdenklicher Miene am Kinn.
»Warte!«
»Auf was?«
»Ich hab eben mal nachgedacht.«
»Oh. Toll!«
»Pass auf. Der Erste hat doch geschrieben, er würde spenden, wenn wir den Schwan essen.«
»Ja und?«
»Wir drehen einfach alles um. Wenn die Leute wollen, dass wir eklige Tiere essen, dann können wir ja auch damit Geld verdienen. Wir setzen uns vor 'ne Webcam und sagen jetzt zum Beispiel, für 25000 Euro essen wir ein ekelhaftes Schwein!«
»Schweine sind nicht eklig für uns, Shahin.« »Stimmt. Hab ich vergessen. Dann halt Marder, Quallen ... Ratten. Wir ändern einfach rettetsascha.de in wir-essen-alles.de!«
Entgeistert starre ich Shahin an. Er wirkt wirklich sehr überzeugt. Leider bin ich es nicht.
»Shahin, du kannst gerne vor laufender Webcam ein Schwein essen und das Ganze nach Teheran streamen. Ich bin da erst mal raus. Ich muss nachdenken.«
Bedächtig steigt Shahin von seinem Hocker und murmelt beleidigt: »Also ich find's 'ne gute Idee.«
Niedergeschlagen gehe ich zurück zu meinem Rechner und besuche in meiner Verzweiflung ein weiteres Mal die Seite des Erfolgstrainers Ron Schubert. Das Moneybooster-Seminar im Kölner Mercure Hotel - das ist morgen. Vielleicht sollte ich ja doch mal hingehen?
»Wenn du zu dem Seminar gehst, dann komme ich mit!«
Entsetzt drehe ich meinen Bürostuhl zu Shahin. Erstens, weil ich nicht wusste, dass er vom Tresen aus meinen Bildschirm sieht und zweitens: weil er mitkommen würde.
»DU kommst mit? Wolltest du nicht eben noch ein Schwein essen?«
»Ich will auch nicht ewig meine Shishas in einem blöden Web-Cafe rauchen, wo Spinner wie du reindürfen. Mein Bruder hat ein Hotel in Aachen, meine Schwester wohnt in London, die hat ein Townhouse in Chelsea. Und ich?«
Wie zum Beweis seines Versagens schaut Shahin sich in seinem Internet-Cafe um. »Mein Gott Shahin«, sage ich erstaunt, »ich dachte immer, du bist mit allem zufrieden.«
mr. moneybooster
Viel zu früh stehe ich in dem von zittrigen Energiesparlampen illuminierten Foyer des 80er-Jahre-Kongresshotels. Von überall her stolpern aufgedrehte Seminarteilnehmer herbei und rollen ihre Trolleys über den kotzfarbenen Teppichboden. Mit meinem gelben Akkreditierungsbändchen am linken Handgelenk stehe ich neben einem ockerfarbenen Seminarwegweiser mit weißen Steckbuchstaben und warte auf Shahin. »Moneybooster ™ -Der Sekundenmillionär« findet im Raum »Johann Sulpiz Melchior Dominikus Boisseree« statt, dem offenbar größten Seminarraum, wenn man nach der Länge des Namens geht. Die Teilnehmer vom »Ayurveda-Kongress« treffen sich im Raum »Jupp Schmitz« und alle, die ihr Wissen in »Konzernrechnungslegung nach IFRS/IAS« vertiefen wollen, im Raum »Eric Voegelin«, was im späten Mittelalter vermutlich einer der renommiertesten Konzernrechnungsleger war. Direkt neben mir steht eine ganze Gruppe leichenblasser Möchtegern-Geschäftsleute in C&A-Anzügen und quarzt eine Kippe nach der anderen weg. Mal ehrlich: Wer sich einen Plastikkugelschreiber in die Brusttasche eines viel zu großen Anzugs steckt und diese Textil-Havarie dann noch mit einer pfiffigen Musiknoten-Krawatte in Rot garniert, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen. Nicht mit Ayurveda, nicht mit Konzernrechnungslegung und nicht mit Ron Schubert. Kopfschüttelnd blicke ich zur großen Drehtür des Eingangsbereiches. Ich erspähe Shahin und winke ihm. Er hat sich ein weißes Hemd und einen Sakko angezogen und sieht dadurch fast schon ein wenig seriös aus.
»Na, Simon. Heute mal nicht Rechner sieben?«
»Wie siehst DU denn aus?«
Shahin zieht seine Augenbrauen nach oben und fährt sich mit der rechten Hand über seine steife Kragenspitze.
»Sag mir, wie du dich kleidest, und ich sage dir, ob du reich wirst!«
»Sag mal, hältst DU jetzt das Seminar oder dieser Schubert?«
Durch endlose, immer fahlere Hotelkorridore erreichen wir unseren Seminarraum. Er sieht
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