Millionär
Zweimal bin ich noch mit dem Handy durchgekommen, zack war auch die Nummer auf der Liste. Im Minutentakt habe ich angerufen. Wollte den Teamleiter, Geschäftsführer und Aufsichtsrat sprechen, um meine Beschwerde zu revidieren und sämtliche Schuld auf mich zu nehmen. Ein dummer Kunde sei ich, der aus purer Langeweile durch die Gegend telefoniert, nur weil ein Swiffertuch zu trocken ist oder das neue Fairy Sensitive zu rau. Sie haben mir alle Recht gegeben und dennoch bin ich kein einziges Mal über die erste Hierarchieebene des KopfhörerProletariats hinausgekommen. Kein Chef wollte mit mir sprechen und auch kein Teamleiter. Warum auch? Wahrscheinlich werden in so einem riesigen Call-Center tägliche zwanzig Leute entlassen und zwanzig neu eingestellt. Annabelle muss beliebt gewesen sein, wenn man sich an ihre Entlassung erinnert. Kein guter Trost! Schließlich habe ich mir meine Jacke geschnappt, um runter zu Aset zu gehen. Ich nehme mir eine Flasche Gin aus dem Regal und drei Dosen Tonic Water, was alleine schon reichen müsste, um zumindest Johannas Auszug aus meinem Hirn zu schwemmen. Die Geschichte mit Annabelle dürfte da schon ein wenig schwieriger werden, also packe ich gleich zwei Pennerflaschen Strohrum unter den Arm, Treibstoff für eine ganz neue Generation von Irak-Kater.
»Na?«, grinst Aset mich an, während er einer Kundin mit Sportjacke den üblichen Dreierpack Falafel auf das eckige Papp tellerchen legt, »lange nicht mehr hier gewesen!«
»Stimmt!«, nuschle ich und betrachte die Zeitschriftentitelseiten, bis ich drankomme. »Mehr Muskeln und weniger Kilo mit einer einzigen Übung« verspricht die Men's Health. Die Maclife testet 23 Notebookständer und die Freundin fragt: »Und wo bleibt da die Liebe? Tipps und Tricks, das Wichtigste der Welt nicht zu vergessen!« Na, vielen Dank auch.
»Immer noch mit Ketchup?«, fragt Aset die Kundin.
Ich höre augenblicklich auf zu atmen und starre nach vorne.
»Klar. Ich pack auf alles Ketchup drauf«, lacht eine recht zierliche Person mit hellblonden Locken. Aset greift kopfschüttelnd zur roten Quetschflasche.
»Wenn ich das in Ägypten erzähle ...«
»Ich weiß«, kichert die Frau und nimmt ihren mit Alufolie umwickelten Pappteller entgegen. Ich blicke nach unten und direkt in die traurigen Augen eines kleinen Hundes mit weißem Fell. Wie schockgefrostet stehe ich neben dem Zeitschriftenregal.
»Tschüss, schönen Abend noch«, sagt Aset.
»Tschüss. Dir auch!«, sagt Annabelle und geht mit Papptellerchen, Mühlen-Kölsch und Hund an mir vorbei. »Komm, Fluff!«
Ich hatte Recht. Annabelle ist hübsch. Sehr hübsch sogar. Ein zerbrechliches, lockiges Engelchen mit kleinem Hund und großem Herz.
Wir schauen uns kurz in die Augen.
Quietschend bleibt die Welt stehen.
Die Kiosktür schließt sich.
Dann ist sie weg.
Was bleibt, ist das leise Surren der Kühlschränke, der besorgte Blick eines ägyptischen Kioskbetreibers und meine komplette Unfähigkeit, mich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu rühren.
»Tschüss«, murmele ich leise und ungefähr fünf Sekunden zu spät.
»Ach!« Aset schlägt sich auf die Stirn. »Ich wollte dir sagen
. -«
»Ich weiß«, sage ich und gehe zur Tür. »Gustavstraße, oder?« Aset nickt. »In ihrer alten WG!«
Ich sehe Annabelle gerade noch in der Haustür verschwinden. Eine ganze Stunde brauche ich, bis ich endlich den Mut habe, auf die Klingel mit dem Namensschild »Rhode, Quilitz« und dem Aufkleber »Kaspar« zu drücken. Ich halte die Luft an. Dann höre ich Annabelles vertraute Stimme. »Ja? Wer is'n da?«
Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass ich mit meinem Telefon im Wohnzimmer auf der Couch sitze. Dann sage ich: »Ich möchte nicht aufgenommen werden zu Schulungszwecken und fragen, ob du vielleicht trotz allem . ob du Lust hast, ein Bier mit deinem Frosch und einem Vollidioten zu trinken.«
Eine halbe Ewigkeit passiert nichts.
Dann geht der Türsummer.
epilog
Simon Peters Unfassbar lecker! 11. Dezember 2006 09:00:47 Kundenservice >Dessert Moulins<
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich schreibe Ihnen, weil Sie ein derart verschissen gutes Mousse au chocolat herstellen, dass ich mir Tonnen davon in den Schlund schmirgeln könnte. Den Preis von € 1,69 für ein Töpfchen fand ich zuerst zwar ganz schön heftig, aber als ich den ersten Löffel gegessen habe, da wusste ich - ja, leck mich am Arsch, das muss noch besser sein als das Mousse in der RTL-Kantine! Jetzt ohne Flachs: Jeder
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