Mimikry
Monate eigentlich. Ihren Vornamen hatte sie gar nicht gewußt, na, der war schön kurz, den konnte man nicht verhunzen.
Es raschelte, das war sie jetzt, die Kriminaloberkommissarin, raschelte wie eine kleine Maus. Fing an, sich wieder aufzurichten, aber kam nicht richtig hoch, konnte allenfalls noch sitzen. Ihr rechter Fuß war verdreht. Mit den Händen stützte sie sich ab, rutschte auf dem Hintern zur Wand und lehnte den Kopf dagegen; da hing sie jetzt mehr, als daß sie saß. Blieb unten, blieb auf dem Boden. Immer wieder fielen ihr die Augen zu, als würde sie einschlafen und dagegen ankämpfen, ihre schönen Fingernägel krallten sich in den Teppich. Rührend, wie sie sich anstellte. Wie eine Tänzerin hatte sie ausgesehen, als sie diesen besoffenen Penner vor dem Büro zu Boden warf, das war einmal, das war nicht mehr so.
Und bleich war sie. Sah nicht so gut aus. »Frau Benz«, hatte sie höhnisch gefragt, »welche Art von Kontakten kennen Sie denn?« Und eben wieder, »Töten, ah ja, wen wollen Sie denn–« Als wäre es eine Leistung, zu töten, die sie ihr nicht zutraute. Als hätte sie das gebraucht, als hätte Biggi den Kopf hinhalten müssen für eine wie sie. Zu Hause streifte sie dann etwas ab von dem, was sie anderen zeigte, heuchelte bloß und betrog. Sie war schuld, daß Theresa tot war, Biggi wäre sonst nie in diese Wohnung hier gekommen, hätte Theresa nie gesehen.
So ein Trudeln im Kopf, ein Kreisel, ein Ding, das die Kinder rotieren ließen, einmal angestoßen, bewegte es sich immerfort. Mußte man anhalten. Mußte sich konzentrieren, zuschauen, wie diese Hände da zitterten, die Hände der Kriminaloberkommissarin; man täuschte sich in ihr. Sie war klein und belanglos.
Es war schon so gewesen, ja. Gefühle ließen sich wegschieben, doch sie kamen zurück. Das war wie mit den Gerüchen, an die man sich erinnerte, auch wenn man sie lange nicht gerochen hatte. Leute hatten sie schon so angesehen, wie die Henkel sie jetzt ansah, und sie konnte standhalten. Sie war stärker. Sollte sie glotzen, das machte ihr nichts, sie guckte nicht weg und machte keine Fehler, man konnte ihr nichts tun. Komisch, daß es so war. Sie wollte niemandem weh tun, sie wehrte sich nur.
»Setz dich doch«, sagte die Henkel. So plötzlich war ihre Stimme wieder im Raum, daß Biggi zusammenzuckte, wer rechnete schon damit, daß sie schon wieder anfing zu reden.
Sie ging etwas näher heran. Die Henkel versuchte, ihre zitternden Hände zu bändigen, dauernd rutschte sie damit über den Boden. Wie ein sterbendes Vögelchen die Hände mit den zuckenden Fingern; manchmal schlugen Vögel mit den Flügeln, wenn sie verendeten, so sah das hier aus.
Und der Fuß so verdreht. Konnte man kaum hinsehen, hatte sie wohl Schmerzen.
»Ich glaube, Ihr Fuß ist gebrochen. Sie können nicht aufstehen, nicht?«
»Du hast –« Die Henkel sah zu ihr auf. Den arroganten Ton hatte sie sich abgewöhnt. »Du kannst doch nicht –«
»Langsam. Stammeln Sie nicht. Kriegen Sie keinen normalen Satz raus?«
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie demütig sagen: nein. Kein normaler Satz, nein. Dann versuchte sie es erneut, ihre Stimme nur ein heiseres Flüstern: »Haben die auch so vor dir – was hast du gemacht? «
»Können Sie Ihre Sätze nicht zu Ende sprechen?«
»Erzähl mir von ihnen. Julia. Und Fried. Und die Frau hier – Jung.«
»Das lohnt nicht. Kein Mensch hat sich für die interessiert. Julia wäre verschimmelt, hätte ich sie Ihnen nicht« – ja, wie sagte man – »auf dem Tablett präsentiert. Ich hab sie gesehen. Sie saß immer noch so da. Und Martin. Mußte ich Ihnen auch sagen. Kein Hahn hat nach denen gekräht.«
»Hast du eine Mission oder so was?« Die Henkel starrte sie an, so ein ergebener Blick. »Glaubst du, du müßtest das tun? Hast du es denn – die hatten alle zertrümmerte Schädel, weißt du. Und bei Julia das Blut. Hast du ihre Gesichter gesehen? Hast du so genau hingeguckt?«
»Man kann nicht immer daran denken. Tun Sie das?«
»Die –« Wie sie aufschaute zu ihr. Fast flehentlich, die Polizistin, schüchtern und scheu. »Die Gesichter. «
»Reden Sie nicht so viel, das gibt einen trockenen Mund. Ich werd Ihnen nichts zu Trinken holen, falls Sie mich das fragen. Das geht nicht. Sie wollen bloß Schachzüge machen.«
»Die sind nicht einfach gestorben, nicht? Die sind – sind verreckt.«
Biggi schüttelte den Kopf. Dumm, was sie faselte, sie hörte nicht auf. So ein Zeug redete sie. Die anderen
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