Mimikry
Ihnen eine klebt. Nehmen alles demütig hin.« Es war wirklich schön, die eigene Stimme zu hören, sie hörte sich ganz anders an. Flüssiger kamen die Worte, überlegen. »Er hat mich heute angesprochen.«
»Wer?« Die Henkel guckte, wie manche Hunde guckten, wenn der Herr böse mit ihnen war.
»Czerwinski. Er hat mich angesprochen. Er ist ganz nett. Er ist auch ziemlich hübsch, nicht? Wie ein kleiner Prinz.«
Darauf sagte sie nichts. Sie schüttelte bloß den Kopf, nein, so konnte man es nicht sagen. Bewegte ihn an der Wand hin und her wie im Fieber.
»Im Hotel. Wir haben geredet.«
»Wie kommst du dahin?«
»Mit dem Auto.« Biggi lachte. »Mitdenken täte Ihnen nicht schaden, aber Sie sind nicht so groß im Denken, nein? Hotel Olymp. Er hat mich angesprochen in der Bar.«
»Sicher. Weil ihm so langweilig –« Sie guckte Biggi an, als hätte sie etwas Falsches gesagt, dann flüsterte sie: »Was willst du?«
»Warum vögeln Sie mit ihm, wenn Sie sich schlagen lassen?« Als Biggi mit dem Stock auf sie deutete, folgte sie ihm mit den Augen. »Das ging mal den ganzen Sonntagnachmittag so, erinnern Sie sich? Wie eine Nutte haben Sie ihn bedient. Solche Frauen will er nicht.«
Sie reagierte nicht. Träumte mit offenen Augen, guckte an ihr vorbei zur gegenüberliegenden Wand, irgendwohin, wo nichts war. »Das Ding –« Sie stockte, räusperte sich und fing von vorne an. »Das Fernglas, ja?«
»Warum flüstern Sie denn?« Es war ja fast unhörbar, was sie da faselte. Verängstigte Menschen wisperten so, diese lästigen Zeitgenossen, die die Worte kaum herausbekamen, so gehemmt und verkrampft, daß es ein Jammer war. Oder zum Lachen, na gut, man könnte ein bißchen gemein sein und kichern. Aber weil sie bedauernswert waren, solche Leute, sollte man sich das nicht anmerken lassen.
» Lauter. Warum sprechen Sie nicht lauter? Haben Sie Angst, den Mund aufzumachen?«
Die Henkel guckte ihr nicht in die Augen, das hatte sie einmal gekonnt, jetzt nicht mehr. Lieber nicht, würde sie denken, bloß nicht. Keinen Streit suchen, führt zu nichts, komm ich nicht gegen an. »Das Fernglas«, wiederholte sie brav. »Die Jung, die war das gar nicht.« Fing sie an zu heulen? Ja, fast. Das war ja zum Mitleid kriegen, wie sie sich anstellte; » Du « , sagte sie, »du hast da – da durch, ja?«
»Was habe ich?« Biggi schüttelte den Kopf. Sie stotterte ja. Guter Gott.
»Hast das Ding hier aufgebaut, ja? Das Fernglas. War sie da schon tot?«
Man mußte am Fernglas einen Knopf drehen, um die Entfernung einzustellen. Als Biggi jetzt ihre Hand bewegte, sah das genauso aus. Wie eine Trockenübung, sie hatte es so oft gemacht.
»Es ist ein Elend, nicht? Sie hatten ihn selten da. So oft wollte er Sie nicht sehen. Die meiste Zeit laufen Sie in Ihrer Wohnung rum wie eine Maus im Käfig. Ziemlich erbärmlich, nicht?«
»Glaub ich nicht«, murmelte die Henkel, dann schob sie sich etwas nach vorn.
Vorsicht, man mußte sich so hinstellen, daß sie nicht treten konnte, falls sie plötzlich wieder einen Koller kriegte. Mit dem verkrüppelten Bein konnte sie eh nichts machen. Immer wieder versuchte sie, den Fuß zu bewegen, ihn auf den Boden zu stemmen, aber dann zuckte sie zusammen und ließ es wieder sein. Traute sich nicht. Schweiß lief ihr über die Stirn, ein banges Häschen. Wollte so gerne, konnte nicht.
»Was haben Sie denn da mal mit diesem Glas angestellt?« Biggi lachte, es war so einfach, zu reden. »Allein auf dem Bett rumliegen und sich mit ’nem Glas antatschen, das hat nun keinen guten Eindruck gemacht. Da hätten Sie gern einen dagehabt, nicht? War aber keiner da.«
Die Henkel guckte noch immer an ihr vorbei, als versuche sie, eine Schrift an der Wand zu entziffern. Hockte ewig so da, bis sie fragte: »Macht dich das an?«
»Was?«
»Die Glotzerei?«
»Nein. Es war nicht meins – das Fernglas. Gehörte der Jung.«
»Tatsächlich?«
»Sie können auch an nichts anderes denken, nicht? Bloß an – Anmachen und so was. Wie ist das gekommen, daß er Ihnen nachgelaufen ist? Das hat er ja wohl gemacht, jetzt weiß er’s besser.«
Keine Antwort. Ihre Arme hingen schlaff herunter, als gehörten sie ihr nicht. Sie hatte keine Gewalt mehr über ihren Körper.
»Sind Sie taub? Hat er damit angefangen? Hat er Sie angesprochen?«
»Ja.«
»Mich auch heute.«
»Schön.«
»Sind Sie gleich mit ihm ins Bett?«
»Hör auf, du bist ja –«
»Bitte?« Biggi hob ihren Arm und dann sackte der Arm herunter wie von
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