Mimikry
selbst, und die Henkel wimmerte, als sie den Schlag wieder spürte. Sie fing an zu zappeln und ihr Atem kam in Stößen, vielleicht hatte sie Schüttelfrost. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte, bevor sie flüstern konnte: »Ziemlich gleich.« Das hätte sie sich ersparen können.
»Finden Sie das in Ordnung? Ich meine, gleich – ziemlich gleich mit einem ins Bett zu gehen? Glauben Sie, Sie verpassen was, wenn Sie’s nicht machen?«
»Weiß ich nicht. Mach ich mir keinen Kopf.«
Ja. Irgendwie war sie doch anders, als Julia gewesen war. Nahm es leichter, alles. Machte sich nicht dauernd Gedanken. Kriegte wohl auch einen Mann, wenn sie ihn wollte. War dann zu schwach, ihn zu halten.
»Sie machen sich generell nicht so gerne einen – wie sagen Sie? – Kopf.«
Die Henkel sah hoch zu ihr. »Wenn man Lust drauf hat, macht man’s einfach, oder? Ist das bei dir nicht so?«
Du sagst man, Gabriels Blabla, sag einfach: ich. Biggi senkte den Kopf. So ein häßlicher Teppich, er machte den Raum so dunkel wie ein Grab.
»Denken Sie manchmal, Sie würden selber da liegen, wenn Sie Leichen sehen?«
Sie holte Luft, wollte vielleicht antworten, doch es kam nichts heraus. Nur ihre Finger bewegten sich, als machte sie Übungen damit, waren vielleicht kalt, der Boden, auf dem sie hockte, war kalt, die ganze Wohnung, alles um sie herum war kalt.
»Wollten Sie etwas sagen?«
»Ja.« Sie nickte feierlich, bevor sie fragte: »Warum erzählst du nichts von dir? Du fragst immer –«
»Ich bin ganz normal, machen Sie sich mal keine Gedanken.« Biggi ging ein paar Schritte im Zimmer herum, sah aus dem Augenwinkel, wie sie erneut versuchte hochzukommen und wie es mißlang. Das wurde nichts mit ihr, sie blieb am Boden. Wehrlos. Es war still. Nur die Uhr tickte, die Uhr auf dem Fensterbrett. Früher hatte sie auf der Kommode gestanden, aber sie hatten sie vielleicht auf Fingerabdrücke untersucht, als sie hier eingedrungen waren, und dann einfach so stehenlassen. Ganz nah das Ticken, gleichförmig und träge wie ein müdes Herz. Bei Martin war dasselbe Geräusch gewesen, das Ticken nach dem Lärm. Es war nicht gut, wenn Leute brüllten, das machte sie krank. Julia hatte gebrüllt und gewinselt, als hätte sie am Leben bleiben wollen, dabei hatte sie über das Leben, das sie führte, bloß geklagt, Julia Bischof, so ein mieses Stück. Ihr Gekreische, als sie Biggi beschimpfte, dann ihre Schreie, als es ihr leid tat. Biggis Hände um Julias Hals. Martins erhobene Arme, Arme vor dem Gesicht, um es zu schützen, Martins Schreie, und Theresa Jung, die hatte irgendwie auch so geschrien. Theresa auch. So ein Theater, als sie auf die Idee gekommen war, Biggi wäre gar keine Polizistin, doch Schmerzen hatte sie nicht gehabt, keine Schmerzen, kein Leid mehr, nichts. Ja, und Martin Sie schloß die Augen, alles ging durcheinander, Theresa, Martin, Julia und sie hier, die da hockte Biggi sah auf ihre Füße. Sie mochte keine Schreie. Das war zum Angst kriegen, wenn jemand schrie. Und wenn sie nicht mehr aufhörten zu schreien, das war was sollte man tun?
Martin war auch gefallen, wie sie jetzt, die Henkel, und dann, als er gefallen war, hatte er mit den Fäusten auf den Boden geschlagen, vielleicht um Nachbarn von unten anzulocken, doch niemand war gekommen. Es war leicht gewesen, Martin zu sagen, was für eine Memme er war und daß sie sich nicht von einem Würstchen belästigen ließ, das herumlief, um im Fernsehen sein Leid zu klagen, sich lächerlich zu machen überall, und dann war es ganz still gewesen, nachdem er so gebrüllt hatte, und die Stille war so plötzlich gekommen, daß das Ticken seiner Wanduhr ihr vorgekommen war, als solle ihr etwas mitgeteilt werden, das sie nicht richtig verstand. Sie hatte dann Martins Gesicht gesehen, das veränderte Gesicht, diese Dellen überall und das Blut, das ihm aus den Ohren kam und aus der Nase, und sie hatte Schmerzen bekommen, wie Migräne. Als hätte sie sich selbst auf den Kopf geschlagen, es dröhnte, und sie wollte alles vergessen, denn man konnte nicht damit leben.
Sie hob den Kopf. Die Henkel sah sie an. Die Uhr tickte. Wer zuerst wegguckt, hat verloren.
Ein Hämmern im Kopf, die durfte nicht mehr schlagen. Mußte aufhören. Raus und dieses Ding mitnehmen, diesen Schläger.
Es war still. Eben war es noch laut gewesen, die Stimme im Raum und das Pfeifen, das der Stock machte, das pfeifende Geräusch, wenn er kam, sekundenlang vorher hörte man ihn, weniger
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