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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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dieser Trampel sie hier – langsam. Sie konnte atmen, es war nicht so schlimm. Die Hitze hinter der Stirn ließ nach. Würde vielleicht eine Beule geben, einen blauen Fleck, Zertrümmerung der Schädeldecke. Befund des Pathologen, Schläge auf Kopf, Nacken und Gesicht, Bischof, Fried, Jung, stumpfer Gegenstand. Meistens kicherten sie darüber, wenn der Pathologe mit dem Befund kam, stumpfer Gegenstand, also wußte er es nicht genau. Stumpfer Gegenstand, das konnte alles sein, außer der Stichwaffe, das war der ominöse spitze Gegenstand. Konnte alles sein, vom Nudelholz bis zum Baseballschläger, vom abgesägten Tischbein bis zur Krücke vielleicht, zur Krücke. Sie schob einen Arm nach vorn, wartete ab, dann hob sie langsam den Kopf und fragte: »Was willst du?«
    Die Benz stand da, als warte sie auf Grün an einer Ampel. Und der Stock, dieses Ding, es war ganz nah.
    Stumpf. Stumpfer Gegenstand. »Hast du Julia damit – geschlagen?« Sie versuchte ihr in die Augen zu sehen, komm schon, schau mich an, doch die Benz wandte den Blick ab, ließ es nicht zu. »Und Fried?« Das Atmen fiel ihr schwer, vielleicht weil sie so krumm da lag. »Und diese Frau hier?«
    Sie sagte nichts. Sie war so schmal und schwach, wer beachtete sie denn?
    »Ich glaub das nicht. Das gibt’s doch nicht.«
    »Was?« fragte die Benz.
    »Du hast doch nicht – erzähl mir von ihr. Dieser Frau hier. Theresa Jung. Du bist in ihrer Wohnung.«
    »Was wollen Sie hören?« fragte die Benz. »Keiner vermißt die Jung. Haben Sie sie am Fenster gesehen? Vielleicht stand sie da, um zu zeigen, daß sie gelebt hat, aber das hat dann keinen interessiert. Sie sind ihr kaum aufgefallen.«
    Am Fenster – woher wußte die, wen sie am Fenster sah? Sie mußte hier raus, mußte ihr Bein wieder spüren. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie auf ihrem Stuhl im Präsidium saß und dieser Trampel hockte auf dem zweiten Stuhl und stotterte herum. Der zweite Stuhl war kleiner, weil sie ihren Drehstuhl gerne hochschraubte. So war das doch gewesen, so hatte sie doch schon vor ihr gesessen, ein Mäuschen, das man kaum ansah, ein spätes Mädchen, das man vergaß.
    Sie holte Luft und sagte: »Theresa Jung wurde erschossen.« Ihre Kehle war so trocken, daß sie nicht wußte, wie laut sie gesprochen hatte, doch die Benz hatte sie anscheinend gehört. Sie zog die Brauen zusammen, dann schüttelte sie ganz leicht den Kopf.
    »Nein?«
    »Nein«, sagte die Benz. »Niemand hat geschossen.«
    Der rauhe Boden kratzte und war kalt. Weiße Flusen auf dem braunen Filz, direkt vor ihren Augen, kleine Dinger, zwei, vier, fünf und mehr. Sie versuchte, durch die Nase zu atmen, langsam und tief. Es war kein so gefährlicher Job. Ab und zu kriegte man Ärger, jeder kriegte Ärger irgendwann, paß auf dich auf, sagte ihre Mutter jedesmal. Es gab Statistiken. So gefährlich war das nicht, es gab tausend Jobs, die riskanter waren.
    Die Benz war ganz nah, und man mußte nur die Hand ausstrecken, um ihr das Bein wegzuziehen, das lahme Bein, das sie da hatte. Ganz langsam drehte sie sich so, daß ihr Ellbogen den Boden berührte. Schmerz ignorieren, alles ignorieren, nur atmen. Langsam atmen. Das war der Trick, den der Trainer verraten hatte, tief einatmen, dann zuschlagen mit der Kraft, die das Ausatmen gab. Ihre Hand zuckte nach vorn, zu dem Knöchel da, zu diesem Trampel, und sie packte zu und zog und dann stöhnte sie auf, als der riesige Stein gegen ihren Knopf knallte, der Stein oder ein rollender Zug oder was immer
     
    »Hören Sie doch auf«, sagte Biggi. Ihre Arme zitterten, es war kalt, sie hatten die Heizung abgedreht, als sie hier eingedrungen waren. Dunkle Heizkörper, braun gestrichen. Sah nicht gut aus, machte den Raum kleiner. Auf die Heizkörper hatte sie noch nie geachtet. Häßlich, drückend und kalt.
    Ihr Atem holperte ein bißchen, es war nur diese Wut gewesen. Jetzt ging es schon wieder. Sie kannte das Gefühl, erinnerte sich, ein Glühen im Innern, das sie verbrannte. Außen war der Körper kalt, innendrin nicht.
    Da lagen die Schuhe der Polizistin, einer über dem anderen, hier ihre Tasche. Sie nahm sie vom Boden, eine Umhängetasche, nichts Besonderes. So eine hatte sie selber. Kram drin. Schlüssel, abgerissene Kinokarten, Parfüms, Jil und CK One, Puderdose, die Visitenkarte eines Restaurants, ein Handy und ein Ringbuch aus Leder. Kaugummis, Tempos, Aspirin, was man so hatte. In einer Seitentasche der Polizeiausweis. Sie war ein Jahr älter als sie. Fünfzehn

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