Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
gegnerischen Vampire folgten ihr ungläubig, aber sie beachtete sie nicht.
Alles, was sie sah, waren die Kinder, die Ramil in den Armen hielt. Die beiden
Kleinen machten keinen Mucks. Mit stillen, ernsten Gesichtern blickten sie ihr
entgegen.
Nell hielt nur einmal
kurz an, um sich zu bücken und ein Schwert aufzuheben, das jemand fallenlassen
hatte. Es war lang und spitz, der Griff mit verschlungenen Gravuren versehen.
Ganz so, wie sie es
erwartet hatte.
Farben tanzten vor
ihrem Gesichtsfeld, die Burg, das wuchtige Eingangstor ... Sie waren fast da.
»Gib mir die Kinder«,
befahl sie in einem eigenartig leblosen, entrückten Ton, als befände sich
zwischen ihr und der Welt eine Glaswand. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Ramil
fallen. Im Hier und Jetzt jedoch stand er stolz vor ihr und lachte höhnisch.
»Ich hatte mir schon
gedacht, dass du unterhaltsam sein würdest, kleine Blutspenderin.«
Sie achtete nicht auf
seinen Spott, denn sie hörte seine Worte nicht zum ersten Mal. Tatsächlich war
sie seit langer Zeit auf genau diesen Moment vorbereitet gewesen.
Die Zukunft hüllte
sie ein wie eine schützende, durchsichtige Blase. Sie brauchte nur ihre
Gedanken auszustrecken und sich das herauszupicken, was sie sehen wollte, was
sie brauchte ...
Sie war jetzt mit
ihren Brüdern und Schwestern verschmolzen, die telepathische Verbindung war wie
ein dickes Seil, das sie sirrend miteinander verband.
Sie lächelte.
Endlich. Da waren sie.
Nell hob ihr Schwert.
Gleichzeitig betraten vier Frauen und sechs Männer den Saal, angeführt von
einer alten Frau. Morag schenkte Nell keinen Blick. Blicke waren überflüssig,
jetzt wo sie geistig miteinander verbunden waren.
»Menschen? Und die
sollen euch helfen?« Ramil lachte Alexander aus, der Nell in den Saal hinab
gefolgt war.
Alexander sagte
nichts. Nell wusste, dass er nicht mehr begriff als Ramil, aber das spielte
keine Rolle. Ihren Freunden würde nichts mehr geschehen, dafür würde ihre
Familie sorgen.
Ramils Blick fiel
ergrimmt auf ihr Schwert, dann befahl er mit lauter Stimme: »Tötet die
Menschen!«
Die Zeit hielt an.
Vor den Augen der Verbundenen spulte sich die Zukunft ab. Sie sahen
alles, jede einzelne Bewegung der Angreifer. Was nun folgte, spielte sich
blitzschnell ab. Die Wahren Vampire versuchten sich auf die Menschen zu
stürzen, und die anderen Vampire wiederum vertraten ihnen den Weg, versuchten
die Menschen zu beschützen. Die Seher taten zunächst gar nichts. Wie ein Mann
warteten sie den geeigneten Moment ab. Ihre Bewegungen waren minimal und präzise.
Mühelos wichen sie den Waffen ihrer Angreifer aus, hoben ihre Schwerter und
stießen sie den Gegnern direkt ins Herz.
Stille senkte sich
über den Saal. Einige schnappten entsetzt nach Luft, als sie des Ergebnisses
ansichtig wurden. Sechzehn Vampire waren gefallen, zwei davon durch Nells
Schwert. Nun hingen die Blicke der Wahren Vampire auf einmal wachsam, beinahe
ängstlich an den Menschen.
Nell hob erneut ihr
Schwert.
»Gib mir die Kinder«,
wiederholte sie, obwohl sie wusste, dass er nichts dergleichen tun würde. Aber
es waren Worte, die gesprochen werden mussten. Ihre neue Familie war in
Gedanken bei ihr, und sie konnte sehen, dass niemand von ihnen Freude am Töten
hatte. Die meisten hatten noch nie getötet. Aber jetzt war nicht die Zeit,
Schwäche zu zeigen. Morags Stärke durchdrang sie alle. Sie war die Älteste, die
Uralte, Anführerin, Urgroßmutter, Weise Frau. Ihre Macht, ihre Kraft war es,
die ihrer aller Sicht stärkte. Sie war das Auge, und ihr Wissen
durchströmte Nell wie ein kalter Fluss.
»Was zum Teufel!?«
Ramil schäumte vor
Wut. Zornig hob er das Schwert und hielt es den Kindern an die Kehle.
»Nein!«, schrie
Angelica, außer sich vor Angst. Aber es gab keinen Grund zur Sorge, wie Nell
wusste. Sie wusste allerdings auch, dass es keinen Zweck gehabt hätte, Angelica
dies zu sagen.
Sie musste es ihr
zeigen.
»Angelica, schau!«
Morag hatte ihr
gezeigt, wozu Angelica fähig war. Dennoch war es eine Überraschung für Nell,
die Gedanken der anderen am Rande ihrer Verbindung zu spüren. Eine
Gedankenleserin. Wer hätte das gedacht?
Morag erlaubte mit
einem Wink, Angelica Zugang zu gewähren. Nun sah die Prinzessin alles, was auch
sie sahen, fühlte, was auch sie fühlten. Nell konnte nun Angelicas Gedanken
ebenso lesen, wie sie die ihren. Und sie sah, dass der anderen das alles zu
viel wurde. Konzentration, befahl Morag, das Auge, und Nell musste
nicht fragen, was
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