Mindhunter - Tödliche Gabe (German Edition)
halten? Haben Sie Zugang zu seinen Gedanken? Können wir sie so vielleicht finden?«
»Nein«, gestand Shane. »Zumindest nicht, wenn er mit mir um die Kontrolle über seinen Körper kämpft. Sie können sich vorstellen, warum ich ihn nicht dazu einladen will.« Er hustete wieder. »Aber die Idee ist nicht schlecht – dass ich euch hier rausschaffe. Nur bin ich wirklich kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.«
»Du verlierst die Kontrolle, weil du erstickst«, sagte Mac wütend. »Es brennt, ganz in der Nähe, ich kann den Qualm riechen. Leg es nicht darauf an, dass ich dich suchen gehe!«
Shane schüttelte den Kopf. »Bitte nicht. Da sind zu viele Wachleute, und du bist nicht komplett kugelsicher – nicht ausreichend. Du musst mich umbringen, Michelle, und zwar jetzt sofort. Dann nimm Anna und macht euch aus dem Staub. Ich kümmere mich selbst um mich.«
Mac schüttelte den Kopf. »Nein. Du sagst mir, wo du bist, ich töte Cristopher, Anna und ich kommen dich holen und dann machen wir uns aus dem Staub. Zusammen.«
Anna nickte, während Shane abermals den Kopf schüttelte.
»Du bist in der Sicherheitszentrale, oder?«, fragte Mac. Als er nicht antwortete, blickte sie Anna an. »Da suchen wir zuerst. Wenn er natürlich doch nicht da ist …«
»Scheiße. Ich bin in der Damentoilette gleich daneben«, gab er sich geschlagen, gestand aber sogleich: »Aber ich weiß nicht, wie man von euch aus da hinkommt.«
»Ich schon«, sagte Mac. »Ich werde dich finden. Ich folge deinem emotionalen Muster.«
»Oh Gott«, sagte er und hustete heftig. Aber dann veränderten sich sein Gesicht und seine Augen für einen kurzen Moment, als Cristopher versuchte, sich zu befreien.
Anna machte einen Schritt zurück, während Mac das Messer fester umfasste. Dann war Shane wieder da – aber für wie lange? »Mac«, sagte er. »Bitte. Ich würde es ja selbst tun, aber ich will wirklich nicht dieses Messer in die Hand nehmen.«
Mac nickte, als sie zu ihm aufblickte und Tränen ihre Augen füllten. »Ich komme dich holen«, versprach sie.
»Bitte nicht«, flüsterte er.
»Ich muss«, sagte sie. »Ich liebe dich.«
Shane lächelte und schaffte es irgendwie, dass selbst Cristopher schön aussah. »Mein Tag ist gerettet. Ich werde besonders hart an meinem Überleben arbeiten. Bitte tu dasselbe.«
»Das werde ich.« Mac lachte, während ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. »Was für ein Scheiß. Warum passiert mir so was?«, sagte sie und rammte ihm das Messer mit aller Kraft mitten ins Herz.
Ruhiger blauer Ozean. Ruhiger blauer Ozean.
Nika wusste, dass sie Joseph niemals finden würde, wenn sie sich nicht von dieser Panik befreite, also atmete sie so, wie er es ihr beigebracht hatte. Tief einatmen, Atem anhalten … Vollständig ausatmen.
Schön langsam. Beim Einatmen bis zehn zählen und beim Ausatmen bis zehn zählen. Immer und immer wieder.
Albträume wirbelten immer noch um sie herum – derselbe dämliche Traum mit den uralten mechanischen Figuren in dem Small-World-Themenpark in Disneyland. Den Traum hatte sie schon, seit sie vier gewesen war – wie sich die Köpfe von einer Seite zur anderen neigten und die Münder synchron zur Musik bewegten.
David, der vorbeikam, als Anna nicht zu Hause war, sie die Treppe hinaufjagte und diese schrecklichen Namen hinter ihr herrief.
Ihre Mutter, wie sie tot in diesem Sarg lag.
Ruhiger blauer Ozean. Ruhiger blauer Ozean …
Als Mac die Tür öffnete, war der Flur vor dem Raum dämmerig und voller Rauch. Ohne Annas Hand loszulassen, ging sie los und zog die andere Frau hinter sich her. Sie wusste, wohin sie musste. Sie konnte es spüren – Shane war ganz in der Nähe.
Es war einiges los in den Fluren – bewaffnete Wachleute irrten umher, anscheinend führerlos. Zunächst hatte Mac gedacht, die weißen Krankenhaushemden, die sie trugen, würden verräterisch sein, aber jetzt wurde ihr klar, dass sie sogar vorteilhaft waren. Sie brauchten sich bloß hinkauern, und die Wachen würden sie in Ruhe lassen – die hatten andere Sorgen.
Vor der Sicherheitszentrale hatten sich besonders viele versammelt. Und die lag gleich neben dem Eingang zur Damentoilette, wo Shane festsaß. Anstatt vor dem Qualm zu fliehen, hatten sie sich mit so etwas wie Feuerwehrmasken ausgestattet, was zu dumm war. Mac hatte gehofft, dass der Bereich frei sein würde. Aber der Eingang zum Herrenklo war um die Ecke, also zog sie Anna durch die Tür. Irgendein Clown war doch tatsächlich da drin und
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