Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
und blickte wieder zum Fenster hinaus.
Eins war mal sicher: Er würde verdammt froh sein, wenn das vorüber war, kein Vertun! Als der Blitz der Intuition ihn gestern in Julias Arbeitszimmer getroffen hatte, fiel es ihm schwer, es nicht laut auszusprechen. Heute morgen hatte er dann auf dem Bett gelegen, die Bauchmuskeln kalt und angespannt vor lauter Erwartung, während er zusah, wie Eleanor sich anzog.
Sie durchsuchte die Kommode und nahm ein paar Blusen heraus, zusammen mit der Unterwäsche; danach stöberte sie im Kleiderschrank herum. Ihre Wahl fiel auf zwei Röcke, und dann spulte sie die übliche Prozedur ab, sie im dünnen Licht zu vergleichen, das durchs Fenster hereinfiel. Früher war ihm nie aufgefallen, wie lange das alles zu dauern schien. Schließlich schlüpfte sie in eine hellgrüne Bluse und einen knöchellangen Baumwollrock mit Blumenmuster; dazu kam eine nußbraune schaffellgefütterte Trainingsjacke.
»Gut genug für dich?« fragte sie scharf, als sie den Reißverschluß der Jacke zuzog.
»Sicher.« Er hatte nicht bemerkt, wie auffällig er sie angestarrt hatte.
Die beiden weißen Lieferwagen des kriminaltechnischen Teams parkten an ihrem üblichen Platz vor der Abtei, daneben drei Polizeifahrzeuge aus Oakham und ein blauer Ford, mit dem Gabriel und Ranasfari gekommen waren. Greg und Eleanor trafen als letzte ein, wie er es auch geplant hatte.
Eleanor zog sich die Kapuze der Trainingsjacke über und duldete es, daß Greg ihren Arm nahm, während sie zum Haupteingang hinübergingen. Die Rosen an der Fassade der Abtei wirkten jetzt ganz dürr, waren klatschnaß und fingen an zu verfaulen. Ein uniformierter Bobby, der auf der Veranda stand, grüßte kurz, während sie sich beeilten, die feuchte Luft hinter sich zu lassen.
Eine Menge Leute liefen in der Halle durcheinander, die vertrauten Gestalten von der Kripo. Gabriel und Ranasfari standen mit Ranasfaris Leibwächter zusammen. Der Physiker führte ein ernstes Gespräch mit Denzil Osborne. Ein paar uniformierte Bobbies machten die Versammlung komplett.
Greg entdeckte Nicholas Beswick am Fuß der Treppe, die Hände in den Jeanstaschen, die Ellbogen unbeholfen zur Seite gestreckt. Der Junge wich jedem Blickkontakt aus und versuchte, inmitten des Lärms der Konversation unbemerkt zu bleiben. Greg fühlte sich spontan zu ihm hingezogen; am liebsten wäre er hinübergegangen, hätte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt und ihm versichert, daß alles okay sein würde; jemand, der so schüchtern war, hatte etwas seltsam Gewinnendes an sich.
Er betrachtete Nicholas sorgfältig, während Eleanor die übrigen Personen in der Halle grüßte. Der Junge drehte sich widerwillig um, um zu sehen, was vor sich ging. Da sah er Eleanor. Sein nachdenkliches Gesicht zeigte erst Erschrecken, dann unverhohlene Angst. Er riß beide Hände hoch, fast als wollte er einen Schlag abwehren. »Sie!« Es kam als verstümmelter Schrei heraus. Er wich instinktiv einen Schritt weit zurück, stolperte über die unterste Stufe und setzte sich mit einem vernehmlichen Plumps.
Alle im Raum erstarrten und glotzten ihn an. Farbe schoß ihm in die Wangen.
Greg ging zu ihm und streckte voller Mitgefühl die Hand aus. »Das ist Ihr Gespenst, nicht wahr?« fragte er sanft.
Nicholas rappelte sich auf und starrte Eleanor immer noch wie vom Donner gerührt an. »Ja, aber sehen Sie nur, sie ist jetzt real! Sie lebt!«
»Kein Vertun. Gestatten Sie mir, sie Ihnen vorzustellen: Das ist Eleanor, meine Frau.«
Nicholas warf ihm einen wilden Blick zu, wie jemand, der in der Falle saß. »Frau?«
»Ich erkläre es Ihnen«, sagte Greg freundlich.
»Wird aber auch Zeit«, schimpfte Eleanor leise neben ihm.
»Du hast es die ganze Zeit gewußt«, sagte Eleanor. Sie schwankte zwischen Zorn und Erheiterung. War noch unentschieden.
»Ich habe es die ganze Zeit vermutet«, wich Greg ihr aus. Und Gott helfe uns, wenn sie beschließt, wütend zu werden.
Sie saßen auf dem kreisförmigen Bett in Nicholas’ Zimmer. Die Möbel waren noch da, aber vom kriminaltechnischen Team mit Plastik abgedeckt worden, damit sie niemand mehr anfaßte. Eine komplette Ausräumaktion wie in Kitcheners Zimmer war allerdings nicht nötig gewesen.
Nicholas hatte den Platz am Schreibtisch in Beschlag genommen, und das durchsichtige Plastik raschelte bei jeder noch so kleinen Bewegung. Er hatte seine Zurückhaltung abgeschüttelt, als Greg ihm von seinen Ahnungen betreffs des Gespenstes und des retrospektiven
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