Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
sich wie immer etwas unbehaglich in Gesellschaft von Royans Krankenschwester und Schutzengel. Die Tür zum Wohnzimmer glitt auf, und Qoi führte sie hindurch, ein höfliches Lächeln auf dem puppenhaften Gesicht.
Es war warm und roch stark nach Pflanzen, mit starkem Anteil von Pilzen; ein Dutzend Pflanzendüfte spielten dabei ineinander. Lange Tröge standen im Raum verteilt und beherbergten eine sagenhafte Vielfalt an Blumen, die im grellen Schein der Solarislampen an der Decke in kräftigen Grundfarben leuchteten. Kleine radgetriebene Roboter fuhren dazwischen umher; sie sahen aus, als hätte sie jemand aus einem Dutzend verschiedener Cyberbaukästen zusammengebastelt und sich dabei entfernt an Zeichentrickfilmen von mechanischen Kreaturen orientiert. Gabeln, Gießbrausen und Gartenscheren ragten in anscheinend wirrer Anordnung aus ihnen hervor.
Eine Wand verschwand fast ganz hinter einer Ansammlung alter Fernsehbildschirme, die aus ihren Gehäusen entfernt und in einem Gitter aus Metallstreben verschraubt worden waren. Alle waren eingeschaltet und zeigten eine Unzahl Fernsehprogramme und Datensätze. Auf einer breiten Werkbank stapelten sich Gerätemodule, Teile von Gerätemodulen, einzelne Bauteile, Platinen und Teile von Mechanikschrott; zwei große Roboterarme hielten an den Enden der Bank schweigend Wache.
Eine auf einem Aluminiumstativ montierte Kamera verfolgte Eleanor auf jedem ihrer behutsamen Schritte zwischen den Trögen hindurch. Sie diente Royan als Auge; die von ihr ausgehenden faseroptischen Kabel endeten in den schwarzen Modemkugeln in seinen Augenhöhlen. Royan selbst saß in der Mitte des Zimmers auf einem metallic-grünen Zahnarztstuhl aus den 1950ern. Sitzen war nicht ganz das richtige Wort: Er war abgestützt und regelrecht von Kissen eingekeilt. Er hatte keine Arme und keine Beine mehr; Plastikabdeckungen schlossen die Stümpfe der Gliedmaßen ab, Axonverbindungen, von denen aus weitere faseroptische Kabel zu ganzen Reihen von Ware- Schränken neben der Werkbank führten. Royans Rumpf steckte in einem weißen T-Shirt voller Essensflecken auf Brust und Bauch.
Greg hatte Eleanor erzählt, daß Royan vor vielen Jahren bei einem Straßenkampf Opfer der Volkspolizisten geworden war. Greg war an jenem Abend selbst dabeigewesen, obwohl er nie in Einzelheiten davon sprach. Trotz seiner Jugend und Beweglichkeit war Royan einfach nicht schnell genug gewesen, um den Monofaserpeitschen der Polizisten zu entkommen, als sie auf die Demonstranten losgingen. Im anschließenden Hagel der Molotowcocktails hatte er obendrein schwere Verbrennungen erlitten.
Jedesmal, wenn Eleanor zu Besuch kam, hielt sie sich für immun gegen seinen Anblick, glaubte, die früheren Konfrontationen hätten eine Schutzschicht um ihre Gefühle gelegt. Aber jedesmal machte es ihr wieder so schlimm zu schaffen wie beim erstenmal. Kälteschauer liefen durch sie hindurch, und dendritische Frostfinger drehten ihr den Magen um.
Die Bilder und Datenseiten verschwanden aus den alten Röhrenbildschirmen und wurden durch meterhohe grüne Buchstaben ersetzt, die von rechts nach links über die Wand liefen, wobei ihre Darstellung durch die Bildschirmränder unterbrochen wurde.
HALLO, ELEANOR. DU SIEHST HEUTE TOLL TOLL TOLL AUS.
»Hallo, Schmeichler. Was hast du so getrieben?« Sie redete ziemlich laut, bemühte sich aber darum, nicht zu durchschaubar zu sein; langsame, deutliche Worte erinnerten sie immer daran, wie die Leute mit Zurückgebliebenen sprachen. Royan war nun alles andere. Die Gehörnerven waren ihm als so ziemlich einzige echte Sinnesorgane geblieben; alles andere lief elektronisch, verstärkt durch die Module, in deren Netz er sich allmählich eingesponnen hatte. Hardware hatte sich zu seinem Interessengebiet entwickelt, seiner Besessenheit, seinem Spezialgebiet. Sein Verständnis von Ware- Systemen entsprach wahrscheinlich einem Universitätsabschluß, fand Greg, übertraf ihn vielleicht sogar. Seine unmittelbaren Erfahrungen waren umfassend; er hatte lernen müssen, um auch nur zu überleben, und er hatte nichts anderes zu tun, als zu lernen, als passiv dazusitzen und die Bytes aufzunehmen, die durch das Datennetz des Landes strömten, Tag für Tag für Tag. Und sobald er seine Kunst gemeistert hatte, stürzte er sich mit Elan wieder in den Kampf, angetrieben durch einen kalten bösartigen Haß, dessen zwanghafte Kraft nur Greg voll überblicken konnte. Er wurde für die übrigen Trinities zum Sohn, ihrem digitalen
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