Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
zur Flüchtlingskrise, ein Magnet für die Unterschicht, die keine Chance hatte, bei den aus Übersee finanzierten Projekten eine Bleibe zu finden. Hier gab es von allem reichlich, was Ressentiments nährte, die ganze Eintönigkeit und Depressivität eines zur Arbeitslosigkeit verdammten Lebens.
Fünfzehn identische Hochhausblocks, zwanzig Stockwerke hoch, steile, unter einer Schuppenhaut von billigen und nur wenig effektiven Solarzellen versteckte Wände. Zerstampfter, schlammverklebter Kalkstein bedeckte den Boden ringsherum. Als einzige Vegetation wuchsen hier Unkraut und Nesseln in trotzigen Büscheln. Der Stadtrat hatte auch ein paar kleine, einstöckige Werkstätten für die Ausbildungsförderungsprojekte der PSP errichtet, aber es waren alles nur leere, ausgebrannte Hülsen, und die Ytongmauern waren schon bedrohlich durchgedrückt. Noch ein paar Jahre, und Entropie und Vandalismus machten Geröll aus ihnen.
Eleanor war es stets zuwider, nach Mucklands zu kommen. Es infizierte Hoffnungen und Menschenwürde wie Krebs. Man konnte nie aus Mucklands heraus die soziale Leiter hinaufsteigen; man konnte nur kämpfen. Die Trinities nutzten das erbarmungslos aus.
Immer wieder sah sie kurz Menschen, die in den Werkstätten lauerten und zwischen den Türmen umhergingen. Alles Stadtgangleute mit Lederjeans, Tarnjacken und AK-Karabinern. Obwohl Eleanor eine Karte der Trinities besaß, kündigte sie ihren Besuch stets telefonisch im voraus an und wartete, bis jemand kam, der sie hineinführte.
»Gehen die Kids hier zur Schule?« fragte sie Suzi.
»Yeah. Vater sorgt dafür. Ist schwierig, weil ein paar von ihnen gute Späher abgeben. Wer würde einen Neunjährigen verdächtigen?«
»Ihr kommt schon klar.«
Suzi sah sie bedrückt an. »Ich weiß, was du denkst. Holt sie hier raus, stopft sie mit schlauen Gedanken voll, durchbrecht den Armutszyklus.«
»Stimmt.«
»Brillant! Und wer setzt dann den Kampf fort?«
Der Kampf gegen ihre Nemesis, die Schwarzhemden, bedeutete den Trinities alles, war der Grund für ihre Existenz.
Die Schwarzhemden waren die Überreste der Volkspolizei, der sie fast zehn Jahre lang auf den überfüllten, hektischen Straßen von Peterborough einen fortlaufenden Kampf geliefert hatten. Und die beiden Gruppen bekämpften einander nach wie vor, als hätte sich nichts verändert, als wäre die PSP weiterhin an der Macht. Es gab zu viele Tote, zu viele alte Rechnungen waren noch zu begleichen.
»Ihr könnt nicht ewig Krieg führen«, sagte Eleanor und wußte dabei, daß es Zeitverschwendung war. Trinities lebten für den Kampf, für den Tod. Das war inzwischen unauslöschlich in ihren Genen verankert.
»Stell mich auf die Probe!« knurrte Suzi gefährlich.
Zwei Wachtposten standen vor der Tür zum Hochhaus und salutierten forsch, als Suzi hindurchging. Eleanor verspürte nicht die geringste Neigung zu lachen, dazu war es zu traurig. Das Turminnere wurde peinlich sauber gehalten, ein scharfer Kontrast zum draußen herrschenden Niedergang.
Suzi klopfte einmal an die Tür der alten Hausmeisterwohnung und ging gleich hinein. Heruntergekommene Metallschreibtische säumten die gegenüberliegende Wand; ein ganzes Arsenal von Kommunikationseinrichtungen war auf ihnen ausgebreitet. Sechs Trinities, allesamt Mädchen, bedienten die Systeme. Sieben Flachbildschirme waren an der Wand über ihnen montiert und zeigten die Bilder von Kameras, die auf den Dächern der Türme angebracht sein mußten. Fünf zeigten ein Panoramabild von Mucklands Wood, in langsamen Schwenks aufgenommen. Die restlichen zwei hatten Walton im Blick, zwei Kilometer entfernt auf der anderen Seite der A15, eine dichte Ballung von Dächern und Schornsteinen, durchsetzt mit den konischen Spitzen immergrüner Fichten. Im Hintergrund sah man eben noch den Sumpf des Fens-Beckens, eine schmuddelige braune Ebene, die schließlich in den verzerrten Dunst überging, hinter dem verdeckt der Horizont lag.
Walton war für die Schwarzhemden das, was Mucklands den Trinities bedeutete: Hauptquartier, Kaserne, Rekrutierungspotential, Waffenlager, ein Gebiet ohne Zutritt für Polizei und Öffentlichkeit. Der Rest der Stadt ärgerte sich über diese beiden Gebiete. Selbst die Dankbarkeit der Leute für die Trinities, begründet in deren Rolle als Brennpunkt für die örtliche Opposition gegen die PSP, war im Lauf der zurückliegenden vier Jahre gänzlich dahingeschwunden. Die Einwohner von Peterborough wünschten sich ein Ende des
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