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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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krank, dass ich nichts von ihm erfahren kann. Von Mingus. Ich brauche einen Plan – bald.
    Mama ist mit Papa unterwegs. »Geschäfte«, sagt Papa. Ich kenne das. Wichtig ist, dass er mir nur Zeit gegeben hat, bis sie wieder da sind. Mama will ihn umstimmen, aber nur, wenn ich verspreche, die Zuhörerin zu mir zu lassen, natürlich auch den Heiler vom Pam-Programm, und wenn ich das esse, was mir die Kücheneinheit vorsetzt. Spezialdiät. Eiweiß. Ich darf kein Pom haben, keine Pam, ich darf nicht aus dem Haus gehen, kein Besuch wird vorgelassen. Dr. Wus 3D kommt jeden Morgen, schon im Schlafzimmer. Er bringt mich zum Lachen mit seinen Grimassen, und wie er so tut, als wisse er nicht, wer er gerade und wo er gerade sei. Er sagt, meine Seele müsse sich erheben, und soweit er sehe, sei sie dabei, das zu tun. Er erzählt mir dieGeschichte von dem Goldfisch, der am Grunde liegt und sich aufgegeben hat, um dann schöner und rotgoldener als vorher wieder aufzusteigen, hinauf zur Sonne. Ich bin kein Kind mehr. Ich lache, weil er sich wünscht, dass ich lache. Ich habe früher, als ich noch klein war, sehr gelacht über seine Witze. Jetzt kann ich all seine Witze auswendig und lache, weil er glaubt, er kenne mich und wisse, was ich habe. Er hat keine Ahnung. Keiner hat eine Ahnung.
    Ich schreibe in mein heimliches Tagebuch. Donna, Mamas Freundin hat es mir gebracht. Sie sagt, Mama meint es gut mit mir und es sei so schrecklich schwierig gewesen, mich zu bekommen, nach all den Jahren, es sei ein solches Wunder gewesen, mich zu bekommen. Sie sagt, ich sei kostbar. Mamas Schatz. Sie sagt, es wäre gut, wenn ich aufschreiben würde, was ich fühle. Das brächte Klarheit. Ich soll es nur für mich schreiben und gut verstecken. Sie sei meine Freundin, sagt sie. Ich weiß nicht, ob ich ihr glauben kann. Sie ist Mamas Freundin. Ich schreibe in mein Tagebuch, dass ich ihn immer lieben werde. Ich denke an ihn, jeden Tag, jeden Augenblick. Ich habe solche Angst, ihn nie mehr wiederzusehen. Ich habe solche Angst, sie nehmen ihn gefangen, und dann töten sie ihn vielleicht. Ich sage das keinem. Mama sagt, ich sei ein romantisches Kind, ein traumatisiertes Kind. Ich bin kein Kind mehr.

BORIS
    Tara.
    Sie hat auf mich gewartet vor meinem Stadtversteck im Hof. Sie weiß, wo ich meine Bücher habe, meine Arbeitssachen, meine geheimen Archive. Sie kennt seit damals meinen Tagesablauf, meine Rituale, meine Unfähigkeit, mich von alten Gepflogenheiten zu lösen. Sie weiß, wann ich herauskomme, um die Möwe zu nehmen, um nach Hause zu fliegen.
    Ich erkenne sie nicht gleich, sie ist in Tücher gewickelt. Keine allzu sauberen Tücher. Dann sehe ich ihr Gesicht, sie lächelt. Wir sind nicht eben jünger geworden. Sie und ich. Ich erschrecke. Wie wird sie mich sehen? Mein Haar ist dünn, und dafür ist mir ein Bauch gewachsen. Sie ist mager.
    »Bist du noch Gayanerin?«, frage ich. Sie trägt das Blau dieser Sekte.
    »Schon lange nicht mehr«, sagt sie.
    »Was willst du?«, frage ich rau und gebe ihr einen Stoß. Ich bin nicht stolz drauf. Hier auf der Straße können uns alle sehen. Sie aber hat keine Angst. Sie lacht. Ich starre in ihr Gesicht, wütend. Es ist wie früher.
    Sie beobachtet mich, und wie immer weiß sie, was ich denke. Mit den Augen, und diese Augen sind immer noch schön und können für sich sprechen, ganz wie früher. Mitden Augen zeigt sie mir, dass wir ins Haus gehen sollen, hinauf in mein Studio. Was bleibt mir anderes übrig?
    »Brauchst du Kreddits?«, frage ich auf der Treppe. Auch darauf bin ich nicht stolz. Ich möchte sie loswerden. Wer keine Papiere hat, bekommt bestimmt keine Kreddits, keine Essensmarken, geschweige denn Pom-Einheiten, Wasserbons. Sie hat keine Papiere, da bin ich mir sicher. Entlaufene Gayanerinnen haben keine Papiere. Wenn sie sie greifen auf der Straße, ist sie weg vom Fenster, für immer, und ich mit, wenn ich nicht aufpasse, verdammt.
    Sie setzt sich in meinen Stuhl wie eine Königin und wickelt ihr Tuch vom Kopf, schüttelt ihr Haar. Sie sieht zerrupft aus, aber fröhlich. Sie hat kein bisschen Angst vor mir. Sie ist auch nicht unruhig oder verschüchtert. Vielleicht ist sie verrückt geworden und wird gleich anfangen zu schreien und auf mich losgehen. Ich schäme mich und lächle breit und verlogen.
    »Wein?«
    Sie lacht, und ich fülle ein Glas für sie und eins für mich. Sie trinkt, noch ehe ich das Glas erheben kann.
    »Herrlich!«, sagt sie. »Herrlich – ah!«
    »Bist du zu mir

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