Mingus
Kinder machen?«, fragt Mingus treuherzig, und ich kann sehen, dass ihm die Idee gefällt.
»Vielleicht«, sage ich und schlürfe die Brühe. Sie schmeckt scharf, nach Wild und den Kräutern, die ich mitgekocht habe.
»Ich muss zu ihr«, sagt Mingus. »Ich gehe zu ihr. Ich muss!«
»Lass endlich diesen Blödsinn«, sage ich matt. »Du bistdoch kein Kind mehr, wach endlich auf. Dieser Kerl, dein sogenannter Papa, wollte sie umbringen und ihre schönen Aristogene untersuchen, sie kopieren, sie verwenden, was weiß ich. Sie war nie für dich gedacht. Sie war ein Opfer, das er seiner Forschung bringen wollte. Verstehst du das nicht? Ein Menschenleben zählte da nichts.«
Er will ihn verteidigen, holt Luft, ich sehe es ihm an. Ich bringe ihn mit einer Bewegung zum Schweigen.
»Die Leute aus der Oberstadt, die Aristos, sind spezielle Züchtungen. Verbesserte Menschen. Menschen ohne Erbkrankheiten. Sie sind nicht kurzsichtig oder bekommen Diabetes. Sie sind …«
»Diabetes?«
»Eine Krankheit. Man darf keinen Zucker essen.«
»Zucker?«
»So was wie Honig. Als du kamst, hatte ich noch Honig. Erinnerst du dich?«
»Ja. Honig, ich weiß. Ich fresse dich arm. Ich bringe dich in Gefahr. Sie suchen mich überall. Sie werden dich und mich finden. Sie werden mich …« Er schluckt, atmet tief. »Und dich werden sie töten. Ich muss weg hier.«
Ich will ihm den Mund zuhalten, aber er ist wie immer schneller als ich und fängt meine Hand im Flug. In den ersten Tagen hat er sofort zurückgeschlagen und hätte mich sicher getötet, ohne das zu wollen, wenn ich nicht weggetaucht wäre. Ich bin noch recht beweglich, wenn’s darauf ankommt. Noch immer schaffe ich den Weg ins Zentrum, über die Dächer, durch die Kanäle und über den verwilderten Friedhof mit seinen umgefallenen Steinen und zerbrochenen Engeln. Ganz ohne Mühe.
NEILA
Die Frauen sind auf den Feldern. Die Männer spielen Ringball in ihrem Ringballhof. Ich höre sie brüllen. Wir haben gesunde Männer, und unsere Frauen sind stark und fleißig. Und doch. Nur zwei Kinder in den letzten vier Quartalen. Beides Mädchen, beide gesund. Ich sollte dankbarer sein. Ich bin dankbar. Ich hocke vor Mas Altar und fächle den Weihrauchkelch, zupfe gelbe Blätter von den Schwertlilien aus unseren Teichen, verneige mich, schließe die Augen, versuche, die Stimme der Großen Mutter zu hören. Murmle Zärtlichkeiten:
»Du Süße, du Schöne, du Fruchtbare, du Einzige, du Freude, du Geberin …«
Sie schweigt.
Sie hat gesprochen, zu mir gesprochen, am Abend des großen Gewitters. Das Wasser kam bis in den Tempel, bis zu den Stufen ihres Altars. Wir hockten alle in unseren nassen Kleidern, und der Blitz schlug in den Maulbeerbaum neben dem Portal ein. Ich hörte ihre Stimme, leise und vertraut. Sie sprach von der neuen Rasse, von der Blüte, der neuen Blüte der Gayanerinnen. Davon, dass wir darum kämpfen müssten und dass Gebete nicht reichten. Leise sprach sie, und der Donner erstickte so manches.
Später, beim Abendtreffen mit den Gruppenleiterinnen, sprachen wir über den Hybriden, nach dem alle suchen.Die Stadtläufer haben ihn am großen Pam über dem Hauptplatz gesehen.
»Er ist sicher ein schönes Geschöpf«, sagte Edina. »Stellt euch vor, was für Kinder wir von ihm bekommen könnten. Unsere Frauen, mit einem viertel Raubtieranteil.«
Pischa, die Ärztin, sagte, sie wisse nicht, ob das Geschöpf Nachwuchs bevatern könne, gemischte Tiere könnten keinen Nachwuchs bekommen. Mulis zum Beispiel. Die Jüngeren wissen nicht, was ein Muli ist.
Ich will ihn mir selber ansehen, und dafür muss ich in die Stadt. Ich hasse das Getümmel dort, das Elend, den Aufmarsch der Ci-Po. Die ansteckenden Kranken. Alles.
Ich hocke vor der Großen Mutter und warte auf Anweisungen.
Sie schweigt.
Wir werden Suchtrupps aussenden, um ihn zu finden. Wie kann er ohne Hilfe überleben? Jemand versteckt ihn. Aber wozu? Um ihn für Energiepunkte zu verkaufen. Für viele Energiepunkte? Wir könnten ins Geschäft kommen.
NIN
Morgens schon gehe ich durch den Garten. Alles blüht, aber mein Herz ist schwer.
Die Zuhörerin sagt zwar, ich würde mich langsam erholen, und ich schicke sie nicht weg, wie ich das gerne täte. Mama will, dass ich sie empfange, jeden Tag. Papa darf es nicht wissen. Mama hält ja gar nichts von Papas neuartigen Methoden, mein Gedächtnis zu löschen. Da sind wir uns einig, obwohl ich sagen muss, dass mir das goldene Zelt gut gefallen hat, aber es macht mich ganz
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