Mingus
Beckys Bauch schlief, muss jetzt eine junge Frau sein, und Becky gehört sicher längst zu den obersten Gruppenleiterinnen. Ich denke oft an sie in den letzten Wochen. Sie ist die einzige Freundin, die ich habe. Und jetzt brauchen wir ihre Hilfe. Mingus und ich.
NIN
Ich kümmere mich nicht um die Fragen, die das Haus mir zuruft, in jedem einzelnen Zimmer, durch das ich streife: »Was suchst du? Ich sage dir, wo du es findest.«
»Ich brauche Bewegung«, sage ich manchmal, aber meistens sage ich nichts oder nur »Schnauze!«.
»Fitnessraum! Fitnessraum!«, sagt das Haus.
»Musik«, sage ich. »Monteverdi! Lauter!!«
Ich suche nach Gonzo, meinem Robotier. Versteckt. Wie meine Pom-Spiele, meine Pam-Nuss, meine 3D-Konsole, meine Musikmuschel. Meine Eltern haben alles versteckt. Das Haus sagt »nicht vorhanden« zu allem, was ich gefragt habe. Sie haben da was programmiert, und ich weiß den Code für die Programmierkonsole nicht. Außerdem braucht die Fingerabdruck und Sprachtest. Früher hat das Haus auch mir gehorcht. Natürlich.
Ich finde Gonzo. Zerlegt und verpackt unter den Dielen im Familienzimmer.
»Zugriff verwehrt«, schrillt das Haus. Und blinkt mit allen roten Lämpchen. »Zugriff verwehrt! Gefahr! Gefahr!«
Ich schere mich keinen Deut darum. Ich setze Gonzo zusammen. Ich brauche drei Tage dazu. Es ist schön, etwas zu tun zu haben.
Ich habe ihn fertig. Das Haus protestiert, als ich ihnanschließe, im Garagengraben neben dem Autoport, um seine Batterien anzuwerfen. Er zuckt und faucht, rollt die Augen, schimmert in allen Farben. Sein erster Ton ist ein leises Zirpen, das stärker wird. Dann schaut er mich an und flüstert: »Guten Morgen, Nin.« – »Es ist Mitternacht, du Idiot«, sage ich und umarme ihn. Er ist ganz heiß vom Aufladen.
Das Haus hat meine Eltern verständigt. Ich weiß nicht, wo sie gerade sind und wie lange sie brauchen, um heimzukommen. Es ist Eile geboten. Mama versucht, mich zu erreichen auf dem Mama-Pom, aber ich klicke sie weg. Ich packe den kleinen Rucksack aus meiner Kinderzeit, den, der aussieht wie eine Schildkröte. Gonzos Batterien reichen für immer.
Das Haus trillert ohrenbetäubend, als ich versuche, die Haustür aufzustemmen, mit dem Brecheisen, mit dem ich schon die Dielen hochgestemmt habe.
»Lass mich«, sagt Gonzo und springt durchs Fenster hinunter in den Garten. »Komm«, ruft er von unten. »Ich fang dich auf !« Er kann das. Das ganze Haus schrillt vom Alarm. Wir müssen schnell machen. Gleich kommen die Wachtrupps. Ich weiß, wo wir uns verstecken, unter dem Springbrunnen im Wasserhaus. Ich habe mich schon als Kind dort versteckt. Ich schließe die Eisenplatte über uns und setze mich auf Gonzo, der sich dafür an der Mauer ausstreckt. Oben hören wir die Wachen mit ihren pulsenden Sirenen und ihren schweren Stiefeln herumrennen und sich Befehle zuschreien. Ich muss lachen, und Gonzo richtet seine schönen blauen Augen auf mich und lacht leise mit. Er kann das. Ich habe ihn so programmiert.
Später stellt Gonzo den Alarm ab. Ich hatte ganz vergessen, dass er das kann.
»War eben ein Fehlalarm!«, sagt er und schüttelt sich. Es gibt oft solche Fehlalarme hier oben. Die Ci-Po zieht ab. Das Haus schweigt, auch das hat Gonzo abgestellt. Im Bett esse ich die Schokoladen, die ich so lange nicht essen wollte. Gonzo muss zu mir unter die Decke. Wir hören Musik. Morgen ganz früh wollen wir los, wenn die Nachtschicht hier abmarschiert.
MINGUS
Das Netz haben sie über mich geworfen. Hinterrücks. Noch ehe ich ganz wach war. Ein Netz aus Metallketten. Menschen. Viele von ihnen gemeinsam, sonst hätten sie es nie geschafft, mich zu fesseln. Wie sie alle durcheinanderschrien in der Dunkelheit, zwischen den Bäumen. Wie sie sich auf mich warfen, alle. Nur so konnten sie mich überwältigen. Schändlich ist das. Ich stelle mich tot.
Die Fesseln schneiden mir ins Fleisch. Aber ich stöhne nicht. Ich mache mich schlaff und atme leise. Vorsichtig stemme ich mich gegen die Fesseln. Ich kann sie sicher abschütteln, zu gegebener Zeit. Ich bin stark und jung. Sie sind alle alt. Ich höre es an ihren Stimmen, an ihrem Gelächter. Ja, sie lachen und beglückwünschen sich gegenseitig zu ihrem Fang. Sie riechen schlecht.
Ich liege irgendwo unter der Erde, auf trockenen Pflanzen, aber nicht begraben. Das Echo ihrer Stimmen sagt mir, dass ich in einem großen unterirdischen Raum bin. Viel Licht gibt es nicht, das weiß ich, obwohl meine Augen geschlossen sind.
»Da,
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