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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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geflüchtet zu sein, und weg ist er, für immer.«
    »Wie hätte er das anstellen sollen?«
    »Er muss Leute haben, die ihn unterstützen. Politiker ganz oben.«
    »Von wem sprecht ihr?« Ich bin plötzlich ganz ruhig. »Wen meint ihr?«
    »Diese Chimäre!«, schreit Mama. »Dieses abartige Geschöpf !«
    »Er war es nicht«, sage ich. »Es war ein alter böser Mann. Ich will es euch seit Monaten erzählen, aber ihr lasst mich ja nie.«
    »Du bringst alles durcheinander«, sagt Papa kalt.
    »Das hast du nun von deiner blöden Uterus-Therapie«, zischt Mama.
    »Unsinn, das sind die Nachwirkungen dieses ganzen Albtraums. Man hat mittlerweile erkannt, dass es besser ist, nicht über das traumatische Erlebnis zu sprechen, sondern es zu vergessen. Nötigenfalls mit chemischen Mitteln, Schatz. Wir wollen dich doch endgültig heilen!«
    »Wenn ihr das macht, laufe ich weg!«, schreie ich.
    »Da siehst du, was deine tolle Zuhörerin angerichtet hat. Sie hat alles verbockt!«, sagt Papa zu Mama. »Wir haben jetzt ganz andere neue chemische Methoden. Effizientere. Aber du …«
    »Du wolltest doch den Uterus … da siehst du …«, flüstert Mama.
    »Der Uterus war zur Stabilisierung, nichts weiter«, sagt Papa. »Ich hab’s dir doch zig-mal erklärt.«
    »Zwingt mich nicht zu so was«, schreie ich. »Ich will mein Gedächtnis …«
    »Ach, Kind«, sagt Mama hilflos, und Papa steht auf und betrachtet mich ernst und traurig. »Zu deinem Besten«, sagt er. »Du bist noch ein Kind. Willst du nicht alles vergessen?«
    »Nein!«, schreie ich. »Nein!«

MINGUS
    Tara sagt, man nannte es früher den Park. Da sind die Bäume, viele Bäume und hügelige Flächen, die grün sind und dicht bewachsen mit Gräsern. Da sind Wasserflächen mit langen Rohren am Rand, hart und trocken. Sie rascheln. Die Bäume sind jetzt hellgrün. Aber ein Wald ist das nicht. Es gibt große Figuren aus Stein, die umgestürzt zwischen den dichten Pflanzen liegen, und verbrannte Häuser, die leer stehen und in denen Vögel wohnen. Nicht nur Vögel.
    Nachts bin ich hier. Es gefällt mir hier. Es gibt viele Gerüche. Tara hat es mir verboten, aber ich gehe, sobald sie schläft. Wir haben nie genug zu essen, und ich weiß, dass ich viel zu viel esse von Taras Vorräten. Ich habe Lust, Beute zu machen.
    Zuerst habe ich die kleinen felligen Kerlchen, die hier wohnen, eingefangen und sofort gerissen. Man muss ihnen nur die Haut abziehen, und schon sind sie fertig fürs Abendessen. Noch warm und saftig. Sie sind leicht zu fangen. Ich sehe gut im Dunkeln. Zuerst habe nur ich sie gefressen, habe im feuchten Gras gesessen, mit geschlossenen Augen, und geschmatzt. Es ist nie wirklich dunkel hier. Der Himmel ist gelb und flimmernd über der Stadt. Ich kann sogar lesen in diesem Licht. Tara könnte das nicht. Sie sagt auch, sie sei »ausgelaugt« von diesem »grausamen Winter«. Ich lese von einem Mann, der nach Hause will, aufseinem Schiff, mit seinen Freunden, aber er hat immer wieder Pech und muss gegen alle möglichen Untiere kämpfen. Er erfindet alle möglichen Listen. Er gibt nicht auf.
    Bald schon habe ich Tara Fleischstücke mitgebracht, in Gras und Blumen gewickelt, damit sie glaubt, das wäre auf einem Baum gewachsen oder zwischen den Kräutern, wie Gemüse. Natürlich hat sie es gleich erkannt. Wie gierig sie es verschlungen hat, kaum war es weich gekocht in unserem großen Topf. Daran habe ich gesehen, dass auch sie Fleisch isst und dass sie es nur nicht isst, weil sie es selbst nicht fangen kann. Sie hat mich nicht gefragt, woher ich das Fleisch habe.
    »Kaninchen«, sagt sie und seufzt. »Kaninchen. Gut, so gut!«
    »Es gibt auch größere, gefleckte, haarige«, sage ich.
    »Schweine«, sagt sie. »Verwilderte Hausschweine. Damals bei der großen Säuberungswelle sind ja alle Haustiere getötet und verbrannt worden. Vor allem natürlich die Hunde und Katzen. Das dritte Gesetz des Präsis in seiner letzten Klonung: ›Es ist unwürdig für den Menschen, mit Tieren zusammenzuleben.‹ Natürlich wussten wir alle, es ging um die Aristos und ihre Anfälligkeit für Allergien. Die Schweine aber, die klugen Schweine, haben die Mordtage irgendwie überlebt, oder Menschen haben ihre Schweine im Park, hier in der verbotenen Zone, ausgesetzt. Es ist verboten, sie zu essen, sie sollen besonders verseucht sein.«
    »Was ist das?«, frage ich.
    »Vergiftet«, sagt sie.
    »Aber wir sind doch ganz gesund«, sage ich.
    »Es dauert lange, ehe man es merkt«, sagt

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