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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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sie.
    »Besser vergiftet als verhungert«, sage ich.
    »Wie gut du sprichst«, sagt sie.
    »Papa sagt, ich bin hochintelligent«, sage ich. Ich habe ihr dann doch alles von Papa erzählt, auch, dass er tot ist und dass ich schuld daran bin. Sie sagt, sie glaubt, sie hat ihn gekannt. Sie lächelt. »Er war ein Genie«, sagt sie. Ich weiß nicht, was ein Genie ist. Sie sagt, ich bin nicht schuld am Tod dieses alten Mannes, wer immer er war. Sie sagt, ich soll aufhören, solchen Scheiß zu denken.

TARA
    Jetzt im Frühling durchsuchen die von der Ci-Po Haus für Haus, alle Ruinen und die vielen baufälligen Gebäude mit Infrarotkameras und Bewegungsmeldern. Sie haben Straßensperren errichtet, die von den Truppen kontrolliert werden. Am Avatar sehe ich angstvoll zu, wie die Gelben durch die wimmelnden Leute pflügen. Trupps von fünf bis sechs Mann in Plastikoveralls. »Ci-Po«. Ich muss zum Avatar. Ich muss einfach wissen, was vor sich geht in Megacity. Irgendwann sind wir dran.
    Wir haben zwar angefangen, Vorräte in den Keller zu tragen, aber bald geben wir das auf. Dieser alte Keller, ein verzweigtes System aus Gängen und Kammern. Feucht. Nichts außer den Pilzen wird dort unten wachsen. Außerdem gibt es kein Licht. Meine Kerzenvorräte nehmen ab. Und Mingus, Mingus ist ungern unter Tag. Er sagt es nicht, aber ich sehe es ihm an. Auch ich fühle mich schlecht im schimmligen Geruch alten Unrats, der überall herumliegt, und es macht mir Angst, dort unten gefangen zu sein, ohne Fluchtweg, ohne zu wissen, wie lange. Wie eine alte Ratte. Wir geben den Plan auf.
    Nachts grüble ich darüber nach, was wir tun könnten. Mingus meint, vielleicht gebe es einen Ausweg, wir könnten einen Tunnel graben zum zerstörten Park. Ich bin zu alt, um einen Tunnel zu graben, ihn abzustützen, für Luftzufuhrzu sorgen. Er will es alleine tun. Er hält sich für unsterblich, für unzerstörbar, für unbesiegbar. Das ist der Löwe in ihm.
    Ich habe ihm erklärt, dass er ein einmaliges Wesen ist. Ein Teil Mensch, ein Teil Löwe. Im Reagenzglas hergestellt. Ein Meisterwerk der Genmanipulation. Er ist stolz darauf.
    »Bin ich der Sohn von Papa mit einer Löwin?«, fragt er.
    »Das weiß ich nicht. Kann sein. Es ist nicht mein Fachgebiet.«
    »Hat Papa sich mit einer Löwin gepaart?« Die Vorstellung gefällt ihm.
    Ich glaube eher, er ist der Sohn einer Menschenfrau mit einem gen-gezüchteten Löwensamen. Wer war diese Frau? Was ist mit ihr geschehen? Ich weiß es nicht. Er auch nicht.
    »Da war nie jemand anderes als Papa«, sagt er. Und natürlich das Aristomädchen … und natürlich die Kleinen, die nacheinander gestorben sind und die Mingus, wie er sagt, ähnlich waren.
    »Was wollte Papa mit ihr?«, fragt er.
    Er weiß jetzt, dass sie bei ihren Eltern versteckt lebt. Schwer traumatisiert, munkelt man. Sie ist gut abgeschirmt in der Oberstadt, dort, wo die bionischen Häuser hinter hohen Mauern stehen, ständig bewacht und unzugänglich für uns aus der Unterstadt. Sie haben dort allen technischen Schnickschnack von früher. Natürlich alles weiterentwickelt. 3D-Pams, Häuser, die am Pom hängen und von irgendwoher, ganz gleich wo, Anweisungen entgegennehmen. Projektionspersonal wie Ärzte und Psychiater. Roboterhaustiere. Automatisierte Biogärten. Syntofleischlaboratorien.
    Pam-Rechner und Poms sind uns hier unten verboten. Schon seit der ersten Reinigungsaktion, noch vor der großen Volkswanderung nach dem dritten Krieg, nach den Flüchtlingsströmen. Es gibt hier keine Techno-Geräte mehr. Jedenfalls nicht für den Hausgebrauch.
    Die großen Fabriken und Chemiefirmen natürlich haben Supra-Technik. Die Ci-Po, die Werbefirmen. Zugelassene regimetreue Sekten, die von der Regierung kontrollierten Krankenhäuser. Aber es gibt sicher noch Menschen, die privat heimlich Geräte benutzen. Es gibt einen Schwarzhandel mit Ersatzteilen und Maschinen, die elektrischen Strom herstellen. Wer erwischt wird, wird in die Kolonien abgeschoben oder an die Wand gestellt, je nach Geldbeutel. Gerichtsverhandlungen sind nicht nötig.
    »Was hatte er mit ihr vor?«, fragt Mingus und leckt seine glänzenden Lefzen. Wir haben heute Abend ein fettes Tier gekocht. Ich weiß nicht, was es ist, er brachte es ohne Fell. Das ist gut so. Ich will nicht wissen, was ich da esse. Der Körper eines kleinen Schweines, aber die großen gelben Zähne eines Nagers. Ein Hybrid? Aber sicher nicht von Menschen gemacht. Evolution?
    »Sollte sie meine Frau sein und mit mir

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