Mingus
umbiegt, kommt langsamherunter, bis sie den Boden berührt und keinen Lärm mehr macht. Menschen steigen heraus. Ich verstecke mich. Zum ersten Mal kümmert sich keiner darum, was ich mache. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass etwas Böses passieren wird. An meinem ganzen Körper stellt sich das Haar auf. Ich finde den kleinen Bruder in seinem Haus. Er kommt sofort zu mir und klammert sich an mich. Ich habe so lange nicht gefühlt, wie es ist, seine Wärme an mir zu spüren. Ich drücke ihn an mich und rieche an ihm. Auch er riecht an mir. Er leckt sogar meine Schulter, und ich beiße ihn nur ganz wenig in den Hals, ganz wenig nur, es tut ihm nicht weh. So stehen wir eine Zeit lang und atmen zusammen. Draußen suchen sie nach mir, ich höre es. Bald sind sie da. Ich möchte sofort los mit dem kleinen Bruder, aber ich weiß jetzt, dass wir Wasser brauchen, Essen, Messer, Decken, die Stäbe, aus denen Licht kommt, all das. Wir schleichen uns hinter das Haus und verstecken uns zwischen den Bäumen. Sie finden uns. Es ist dunkel, und wir werden beide erst wach, als sie schon über uns sind. Sie zerren uns schreiend auseinander. Mich drücken sie auf den Boden. Sie tun mir weh, ihm tun sie nichts, aber sie schleppen ihn fort. Sie trennen uns. Sie glauben, ich tue ihm was.
Sie schleifen mich in das Metallhaus, es ist nicht voller Maschinen und gläserner Flaschen wie Papas Metallhaus war. Es gibt Tische, auf denen Sachen liegen, die sie in der Erde gefunden haben, und Tische voll mit Papieren. Das Licht aber ist so hell und weiß wie das in Papas Metallhaus. Ich weiß nicht, was sie wollen. Ich sitze auf einem Stuhl. Sie wollen, dass ich dort sitzen bleibe, und geben mir einenTeller mit gebratenem Fleisch, meinem Lieblingsessen. Der mit den langen roten Haaren und der weichen Stimme streichelt meine Hand, die anderen stehen um mich herum und schauen mir beim Essen zu. Ich will warten, bis sie mich nicht mehr umringen und mich in Ruhe lassen. Ich finde den kleinen Bruder schon. Ich habe seine Witterung.
Ein Mann, der aus der Maschine gestiegen ist, kommt ganz langsam auf mich zu, dabei schaut er mir in die Augen. Er streckt seine Hand aus, um mich zu berühren, meinen Kopf, so wie Papa das macht, wenn er wütend ist und mich gleich schlagen wird. Ich zeige alle meine Zähne und knurre, das ist ein Scherz, der Papa manchmal zum Lachen bringt, und dann kann er mich nicht mehr schlagen. Der Mann aber springt zurück, als habe er sich verbrannt an mir. Er macht Fotos von mir aus der Ferne. Papa hat mir genau erklärt, wie das geht. Er hat mir diese Bilder von mir nie gezeigt. Er sagt, das bringe Unglück. Ich spüre, dass er mich trotz seiner Angst anfassen will, und ich mache Bewegungen mit den Händen, dass er näher kommen soll. Er ist ein langer dünner Mann mit krummem Rücken und Augen, die aussehen wie Wasser. Er wagt sich heran und betastet sehr vorsichtig meine Ohren, meine Nase, meine Brusthaare. Seine Hand riecht sauer nach Angst.
Sie trinken alle das scharfe Zeug, das mir nicht schmeckt. Sie sind laut und das, was Papa »albern« nennt, umarmen sich, schreien, lachen, singen sogar. Ich schleiche mich davon. Ich finde den kleinen Bruder. Er hat ein richtiges Bett, ein winziges Bett auf Holzbeinen, die wackeln. Wir passen nicht hinein. Wir schlafen auf meinem Heubett. Es istlange her, dass ich mich so gut gefühlt habe. Fast so, wie ich mich gefühlt habe, wenn Papa mich herumgetragen hat, als ich noch kleiner war. Das fällt mir jetzt wieder ein.
»Ich heiße Mingus«, sagte ich zu dem kleinen Bruder, und zu meinem Erstaunen hörte ich ihn »Mingus« sagen, ganz leise, aber ich habe gute Ohren. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.
Als es hell wird, sind sie wieder da, alle, sie nehmen ihn mit. Mich halten sie fest und stechen mir in den Arm, und ich schlafe ein. Als ich wieder etwas sehen und hören kann, ist um mich her ein großes Getöse, und als ich das Gesicht an die Glasscheibe neben mir drücke, sehe ich weit unter mir große grüne Flecken, gelbe, braune und eine blaue Schlange, die sich dazwischen ringelt. Wir fliegen. Meine Hände und Füße sind zusammengebunden, und der lange Mann mit den Wasseraugen sitzt dicht neben mir und drückt mir die Schulter. Ich könnte ihn beißen. Ich bin blitzschnell. Aber ich tue es nicht. Vielleicht hätte ich es tun sollen.
TARA
Schon am Morgen ist der Kaffeegeruch so stark, dass ich im Bett liegen bleibe, mit geschlossenen Augen, und ihn einatme
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