Mingus
Ich werfe mich auf ihn und küsse ihn, wo ich gerade hintreffe. DieseTasche gehört mir. Boris hat sie mir vererbt, so sehe ich das.
Ich verstecke sie in der Libelle. Aglaia kümmert sich sowieso nie um etwas, was nicht ihr gehört oder was sie nicht für sich verwenden könnte. Also? Lass sie doch alle weiterwühlen. Das, was ich habe, genügt mir. Noch spüre ich keine Lust, mir zu überlegen, was ich damit mache oder wie’s weitergehen soll. Es stimmt, ich habe großes Verlangen nach einem wirklich weichen Bett, nach richtigem Essen, nach einem Bad. Vielleicht ziehe ich, wenn ich Aglaia endlich los bin, zu den Archäologen. Sie sagen, sie haben Verwendung für eine Chemikerin wie mich.
»Kannst du auch Leos Zeug finden?«, frage ich Gonzo nach einem ausgiebigen Boxenstopp.
»Wenn Nin das will«, sagt er.
»Und die Tasche, Boris’ Tasche? Wie konntest du die finden?«, frage ich.
»Da war Boris’ DNA dran«, sagt er.
Aglaia verschwindet, ohne sich abzumelden, und kommt spät zurück. Sie ist zerzaust und voller Dreck. Sie kümmert sich nicht um ihr Aussehen. Wetten, sie war mal eine ganz eitle Frau. Schön ist sie immer noch, auch wenn sie immer dieses finstere Gesicht macht. Es steht ihr gut.
»Die beiden … Täubchen sind auf und davon«, sagt sie. »Mingus’ Biwak ist aufgelöst. Leer. Ich war dort.« Sie wirft die Hängematte vor meine Füße. »Die war noch am Baum. Es ist meine. Meine Leute haben sie mir geknüpft … Kannst sie nehmen. Brauch sie nicht mehr.«
»Wieso bist du da hin?«, frage ich neugierig.
»Wollte weitergeben, was Hermes mir vor Tagen schon mitgeteilt hat. Die Krawitzens sind unterwegs hierher, um ihre Tochter aufzusammeln. Hermes sagt, sie wären beide dick und fett geworden in der Obhut des gastfreundlichen Monsters.« Sie sieht mich sinnend an, kratzt sich am Kopf und lächelt. Das tut sie selten.
»Nin wird sich sicher freuen«, sagt sie. »Die Krawitzens … man fragt sich natürlich schon, was sie zu der … zu der Wahl ihrer Tochter sagen.«
»Du wirst sie gar nicht treffen können«, sage ich. »Oder?«
Aglaia schüttelt den Kopf.
»Sehe die noch früh genug. Krawitz will in die Regierung. Umgeschwenkt. Wie so viele. Na, da werden wir noch einiges zu tun haben.«
»Ich weiß nicht, ob wir noch lange hier herumsitzen, ich und Gonzo«, sage ich.
»Also, die finden euch schon. Gonzo kann ja Nin kontakten und ihr ausrichten, dass Mama und Papa nach ihr suchen. Wo sind sie eigentlich, die beiden Verliebten?«
»Ich weiß gar nichts«, sage ich. »Aber ich werde es ausrichten, wenn ich von ihnen höre.«
»Das mach mal«, sagt Aglaia. »Das mach mal, meine gute Tara.«
NIN
An dem großen Baum, unter dem wir liegen, hängen lange braune Schoten, die aneinanderklappern, wenn der Wind in die Krone fährt. Aber sie fallen nicht herunter.
»Noch nicht«, sagt Mingus.
»Kann man die essen?«, frage ich.
»Vielleicht«, sagt Mingus.
Wir dösen ein bisschen. Ich liege auf seiner Brust, und seine Atemzüge schaukeln mich sacht. Ich kitzle seine Ohren mit einem Blatt und sehe zu, wie sie zucken.
»Nicht«, murmelt er.
»Doch«, sage ich. »Doch. Und jetzt die Nase, halt still.«
»Untersteh dich«, murmelt er.
Wie er spricht. Wie er lacht. Wie er den gebratenen Fisch zerteilt. Alles ist wie ein Wunder. Alles ist so, als sähe ich es zum ersten Mal. Seine Füße im Gras. Seine Mähne, die sich im Wind aufrichtet wie ein Fächer.
Stundenlang liegen wir nebeneinander und schauen uns an, Nase fast an Nase. Er riecht genauso, wie ich es erinnere. Seine Pfoten auf meinem Rücken, auf meiner Schulter, heiß und trocken und unruhig, seine süßen Seufzer, sein Knurren, in vielen Tonlagen, immer anders. Ich habe die verschiedenen Knurrer gezählt und ihnen Namen gegeben und Farben: Braune Zufriedenheit. Blaue Ungeduld. Rostrote Zärtlichkeit. Grüne Empörung. Gelbe Wut. Dasschönste Knurren hat noch keinen Namen. Ich höre es nur, wenn wir uns ganz nahe sind und nachts. Vielleicht Samtschwarz?
»Was gibt’s zu essen?«, frage ich, und Mingus öffnet langsam die Augen und schaut mich an.
»Sollen wir los?«, fragt er träge. »Sollen wir los?«
»Noch nicht«, sage ich. »Wir warten, bis uns die Schoten ins Maul fallen.«
»Gut«, sagt er und legt sich zurecht.
Ich fange eine Heuschrecke, die sich in seinen Brusthaaren verfangen hat. Ein großes hellgrünes Tier. Ich halte sie ihm hin, in meinem Mund. »Mach auf !«, sage ich.
Er schüttelt den Kopf und schmatzt ein
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