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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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Toten Sees.
    Vielleicht liegt es morgen auf dem Grund des Toten Sees, wie eine Wiege von den Wellen geschaukelt, und in dieser Wiege schlafen Jum-Jum und ich. Was sagst du dann?« Der Schwertschmied seufzte schwer. »Dann sage ich nur: Schlaf gut, Prinz Mio! Schlaf gut in deiner Wiege, die die Wellen schaukeln.« Ich begann zu rudern und sah den Schwertschmied nicht mehr. Er entschwand in der Finsternis. Gerade als wir aus der schmalen Spalte hinaussteuerten, die zwischen der verborgenen Bucht des Schwertschmiedes und dem Toten See lag, hörte ich ihn leise hinter uns herrufen.
    »Sei auf der Hut, Prinz Mio!« rief er. »Sei auf der Hut, wenn du sie nur siehst, die Klaue aus Eisen. Hast du dein 128
    Schwert nicht sofort bereit, dann ist es zu Ende mit Prinz Mio!«
    »Zu Ende mit Prinz Mio … zu Ende mit Prinz Mio …«
    flüsterten rund um uns die Felswände, und es klang bekümmert und besorgt. Doch ich hatte keine Zeit mehr, daran zu denken, denn eben warfen sich die wilden Wogen des Toten Sees über unser Boot und schleuderten es fort, weit fort vom Berg des Schwertschmiedes.
    Hinweg über die brausende Tiefe peitschten die Wellen das Boot. Wir waren schon weit entfernt vom Land, und wir waren so winzig und so voller Angst. »Wenn nur das Boot nicht so klein wäre«, sagte Jum-Jum. »Wenn nur der See nicht so tief wäre und die Wellen nicht so wild und wir nicht so klein und einsam.« Wie waren sie wild, die Wogen des Toten Sees! Nie hatte ich wildere Wellen gesehen. Sie warfen sich über uns, zerrten an uns, rissen an uns und schleuderten uns weiter gegen neue rasende Wellen. Rudern konnte man nicht – es lohnte sich nicht, es zu versuchen. Wir hielten beide die Ruder, Jum-Jum und ich. Wir hielten sie, so fest wir konnten. Aber da entriß uns eine Woge ein Ruder, und eine andere zerbrach uns das zweite. Noch viele Wellen rollten heran, 129
    brausende Wellen, die sich turmhoch um uns, um unser Boot aufrichteten, um unser Boot, das zerbrechlich und winzig war wie wir. »Jetzt haben wir keine Ruder«, sagte Jum-Jum. »Und bald haben wir auch kein Boot. Wenn es die Wellen gegen Ritter Katos Felsen werfen, wird es zerschellen. Und dann brauchen wir nie mehr ein Boot.«
    Von allen Seiten kamen die verzauberten Vögel herbeigeflogen. Sie umkreisten uns, sie schrien und klagten. Ganz dicht flogen sie heran. Ich konnte ihre hellen, traurigen kleinen Vogelaugen in der Finsternis erkennen.
    »Bist du Nonnos Bruder?« fragte ich einen von den Vögeln.
    »Bist du Jiris kleine Schwester?« fragte ich einen anderen.
    Allein sie sahen mich nur mit ihren hellen, traurigen kleinen Vogelaugen an, und ihre Schreie waren Schreie der Verzweiflung.
    Wenn wir auch keine Ruder hatten und unser Boot steuerlos war, wir trieben genau Ritter Katos Burg entgegen. Dorthin wollten uns die Wellen führen, gerade dort wollten sie uns an den Felsen zerschmettern. Zu 130
    Ritter Katos Füßen sollten wir sterben, das wollten die Wellen.
    Näher und näher kamen wir dem gefährlichen Felsen, näher und näher der schwarzen Burg mit dem böse starrenden Auge, schneller und schneller ging es, wilder und wilder wurden die Wogen.
    »Jetzt«, rief Jum-Jum, »jetzt … O Mio, jetzt ist alles vorbei!«
    Aber da – gerade als wir glaubten, sterben zu müssen –
    da legten sich die Wellen und wurden sanft. Vollkommen ruhig wurden sie. Sie trugen unser Boot an allen gefährlichen Klippen vorbei und schaukelten es langsam den schwarzen zerklüfteten Felsen unter Ritter Katos Burg entgegen.
    Warum waren die Wellen zuerst wild und nachher sanft? Ich begriff es nicht. Vielleicht haßten auch sie den Ritter Kato und wollten gern dem helfen, der kam, um gegen ihn zu kämpfen. Vielleicht war der Tote See einmal ein freundlicher blauer See gewesen, in dem sich an schönen Sommertagen die Sonne spiegeln konnte und wo freundliche kleine Wellen plätschernd gegen die Uferfelsen schlugen. Vielleicht hatte es einmal eine Zeit 131
    gegeben, da Kinder an den Ufern des Sees spielten und badeten und ihr fröhliches Lachen über dem Wasser hing und nicht wie jetzt nur die traurigen Schreie verzauberter Vögel. Sicher hatten deshalb die Wellen so wild um uns getobt, sicher hatten sie deshalb eine Mauer aus Gischt aufgerichtet zwischen uns und dem böse starrenden Auge dort oben in der Burg. »Danke, du guter See«, sagte ich.
    »Danke, ihr wilden Wellen.«
    Aber die Wellen waren verschwunden, das Wasser lag still und schwarz und stumm da und antwortete nicht.
    Hoch über

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