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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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als wenn er dächte: Gewiß ist es mein Vater, aber es gefällt mir, daß er auch mit dir spricht. Und dasselbe empfand ich, wenn mein Vater, der König, mit Jum-Jum sprach.
    Dennoch war es gut, daß Jum-Jum und ich immer so lange im Land umherritten. Wie hätte mein Vater, der König, sonst Zeit gefunden, sein großes Reich zu lenken und zu regieren? Wären wir nicht oft den ganzen langen Tag fort gewesen, sicher wäre mein Vater, der König, bei uns geblieben und hätte mit uns gespielt und geredet, statt zu tun, was er tun mußte. Es war also nur gut, daß ich Jum-Jum und Miramis hatte. Oh, mein Miramis! Wie bin ich auf seinem Rücken durch das Land geritten! Mein Miramis, der mich das erstemal über die Brücke des Morgenlichts trug. Ich werde es nie vergessen. Es war in der Morgendämmerung. Das weiche Gras war feucht vom Tau, und Miramis’ goldene Hufe wurden naß, doch das machte nichts. Wir waren ein wenig schläfrig, Jum-Jum und ich, weil wir so zeitig aufgestanden waren, aber sobald wir über die Wiesen ritten und die Luft kühl und frisch und angenehm im Gesicht spürten, wurden wir ganz wach. Als die Sonne aufging, erreichten wir die Brücke des Morgenlichts, die gerade von den Brückenwächtern für den Tag ausgeschwenkt wurde. Wir ritten auf die Brücke, und wir schienen auf Goldstrahlen und Licht zu reiten. Hoch, hoch über das Wasser wölbte sich die Brücke, die höchste und längste Brücke der Welt. Wenn man hinuntersah, wurde einem beinah schwindlig. Miramis’ goldene Mähne glänzte in der Sonne. Schneller, schneller und schneller lief er, höher, höher und höher kamen wir auf die Brücke. Miramis’ Hufe donnerten wie Gewitter. Es war herrlich, herrlich, das alles, und bald sollte ich das Land auf der anderen Seite des Wassers sehen, bald, bald.
    »Jum-Jum«, rief ich, »Jum-Jum, bist du nicht glücklich, ist es nicht wundervoll …« Da sah ich, was geschehen würde. Etwas Entsetzliches mußte geschehen. Miramis galoppierte genau auf den Abgrund zu. Die Brücke hörte auf. Mitten in der Luft hörte sie auf. Die Brückenwächter hatten sie nicht ordentlich ausgeschwenkt. Die Brücke reichte nicht bis zum Land auf der anderen Seite des Wassers. Ein unendlicher Abgrund gähnte, ein Abgrund ohne Brücke, eine grundlose Tiefe. Noch nie zuvor war ich so voller Angst gewesen. Ich wollte nach Jum-Jum schreien, aber ich konnte nicht. Ich zerrte an Miramis’ Zügeln und versuchte, ihn anzuhalten, aber er gehorchte mir nicht. Er wieherte wild und galoppierte weiter, geradewegs in den Tod, und seine Hufe donnerten. Meine Angst war groß. Bald würden wir in diesen Abgrund rasen, bald würde ich nicht mehr Miramis’ Hufe hören, sondern nur noch einen Schrei, wenn er mit flatternder Goldmähne in die Tiefe stürzte. Ich schloß meine Augen und dachte an meinen Vater, den König. Miramis’ Hufe donnerten wie Gewitter. Plötzlich donnerten sie nicht mehr. Zwar hörte ich sie noch immer, doch der Klang war anders geworden: gedämpft und hohl, als ob Miramis auf etwas Weichem galoppierte. Ich öffnete die Augen und sah – ich sah, ja, da sah ich: Miramis galoppierte in der Luft. Oh, mein Miramis mit den goldenen Hufen und der goldenen Mähne! Er bewegte sich in der Luft genauso leicht wie auf der Erde. Er konnte über die Wolken laufen und über Sterne springen, wenn er wollte. Niemand hat ein solches Pferd wie ich. Und niemand kann nachfühlen, wie es ist, auf seinem Rücken sitzend gleichsam durch die Luft zu fließen und das Land auf der anderen Seite des Wassers unten, weit unten im Sonnenschein liegen zu sehen.
    »Jum-Jum«, rief ich, »Jum-Jum, Miramis kann auf den Wolken galoppieren!«
    »Wußtest du das nicht?« fragte Jum-Jum, als sei es gar nichts Besonderes.
    »Nein«, sagte ich, »woher sollte ich es wissen?« Da lachte Jum-Jum. »Du weißt so wenig, Mio«, sagte er. Lange Zeit ritten wir dort oben umher. Miramis sprang über die kleinen weißen Wolken, und es war spannend und lustig. Aber schließlich wollten wir landen. Miramis senkte sich langsam zur Erde. Dann stand er still, und wir waren im Land auf der anderen Seite des Wassers.
    »Hier ist eine grüne Wiese für deinen Miramis mit der goldenen Mähne«, sagte Jum-Jum. »Laß ihn hier grasen, während wir weitergehen und Jiri guten Tag sagen.«
    »Wer ist Jiri?« fragte ich.
    »Du wirst es schon sehen«, sagte Jum-Jum. »Jiri und seine Geschwister wohnen gleich hier in der Nähe.«
    Er nahm mich an der Hand und führte mich zu einem

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