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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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deshalb konnte ich ja wohl nicht blaß sein.
    Ich wünschte nur, Tante Edla könnte sehen, wie groß und kräftig und braungebrannt und gesund ich jetzt bin. Ich bin ganz von der Sonne verbrannt, und stark bin ich auch. Wäre mir die eine Hand auf dem Rücken festgebunden, ich könnte mit der anderen diesen Janne verprügeln, wenn ich in der Upplandsgatan wäre. Aber ich glaube nicht, daß ich es tun würde, weil ich es nicht will.
    Ich möchte nur wissen, was Tante Edla sagen würde, wenn sie von dem Brunnen hörte, der am Abend raunt. Ich meine, wenn sie erfahren würde, daß man Märchen hören kann, ohne seine Nase in Bücher zu stecken, ohne herumzusitzen und blaß zu werden, sondern daß man draußen in der frischen Luft sein kann und trotzdem so viele Märchen hört, wie man will. Am Ende würde sogar Tante Edla damit zufrieden sein, wenn sie auch sonst mit nichts zufrieden ist. Ja, sie sollte nur wissen, daß es im Land der Ferne einen Brunnen gibt, der einem Märchen erzählt: Es war einmal ein Königssohn, der ritt auf einem weißen Pferd im Mondschein. Durch den Wald der Dunkelheit ritt er …
    So hatte der Brunnen es erzählt. Und ich, ich mußte immer daran denken. Ich hatte das Gefühl, als hätte der Brunnen damit etwas Besonderes gemeint: daß ich der Königssohn sei, der durch den Wald der Dunkelheit geritten war, und daß ich es noch einmal tun müßte. Hatte der Brunnen einen ganzen Abend nur für mich geraunt und gesungen, um mich daran zu erinnern, was ich tun sollte?
    Ich fragte meinen Vater, den König, wo der Wald der Dunkelheit sei, und er wußte es.
    »Der Wald der Dunkelheit ist im Land hinter den Bergen«, sagte er, und seine Stimme klang traurig. »Warum willst du das wissen, Mio, mein Mio?«
    »Ich will heute nacht dorthin reiten, heute nacht, wenn der Mond scheint«, sagte ich. Da blickte mich mein Vater, der König, seltsam an. »So, jetzt schon?« sagte er, und seine Stimme klang noch trauriger.
    »Möchtest du das nicht?« fragte ich. »Vielleicht bist du unruhig, wenn ich draußen bin und in der Nacht durch den Wald der Dunkelheit reite?« Mein Vater, der König, schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich?« sagte er. »Ein Wald, der friedlich im Mondschein schläft, will nichts Böses.« Aber dann saß er stumm da und stützte den Kopf in die Hände, und ich ahnte, daß er an etwas sehr Trauriges dachte. Ich ging zu ihm, legte meine Arme um seine Schultern, um ihn zu trösten, und sagte: »Soll ich bei dir bleiben?«
    Er sah mich lange an, und seine Augen blickten traurig.
    »Nein, Mio, mein Mio, du darfst nicht bleiben. Der Mond ist bereits aufgegangen, und der Wald der Dunkelheit erwartet dich.«
    »Bist du ganz bestimmt nicht traurig?« fragte ich. »Ganz bestimmt nicht«, sagte er und streichelte mein Haar. Ich sprang auf, um Jum-Jum zu fragen, ob er mitkommen wolle in den Wald der Dunkelheit. Aber als ich ein paar Schritte gelaufen war, rief mein Vater, der König: »Mio, mein Mio!«
    Ich wandte mich um. Da stand mein Vater, der König, und streckte seine Arme aus. Und ich lief zurück und warf mich an seine Brust, und lange, lange hielt er mich an sich gedrückt.
    »Ich komme doch bald wieder«, sagte ich. »Tust du das?« fragte mein Vater, der König. Ganz leise flüsterte er es.
    Draußen vor dem Haus des Rosengärtners fand ich Jum-Jum und erzählte ihm, ich wollte durch den Wald der Dunkelheit reiten. »So«, sagte er, »endlich!«
    Ich fand es seltsam, daß mein Vater, der König, »So, jetzt schon« sagte und Jum-Jum »So, endlich«, weil ich durch den Wald der Dunkelheit reiten wollte. Doch ich dachte nicht lange darüber nach. »Kommst du mit?« fragte ich Jum-Jum. Jum-Jum seufzte. »Ja«, sagte er. »Ja – ja!«
    Wir holten Miramis, der im Rosengarten graste, und ich sagte ihm, er solle uns zum Wald der Dunkelheit bringen. Da begann Miramis zu tänzeln, als hätte er seit langer Zeit nichts Schöneres gehört. Und als Jum-Jum und ich auf seinem Rücken saßen, sauste er davon wie der Blitz.
    »Mio, mein Mio«, hörte ich meinen Vater, den König, noch rufen, als wir aus dem Rosengarten ritten. Es war der traurigste Ruf, den ich je gehört hatte. Aber ich konnte nicht zurück. Ich konnte nicht. Das Land hinter den Bergen war weit entfernt. Ohne ein Pferd wie Miramis wären wir nie dorthin gekommen. Nie hätten wir über die hohen Berge klettern können, die fast bis an den Himmel reichten. Allein für Miramis gab es kein Hindernis. Wie ein Vogel schwebte er

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