Mio, mein Mio
sagte Jum-Jum. »Noch kommt Ritter Kato nicht. Laß uns sitzen und vom Land der Ferne reden, während die Stunden vergehen. Laß uns dicht beieinander sitzen, damit wir nicht allzusehr frieren.«
Es war kalt im Turm. Mein Mantel war mir von den Schultern geglitten. Er lag auf dem Boden, ich hob ihn auf und warf ihn mir über. Meinen Mantel, den die Weberin mit ihrem Märchengewebe gefüttert hatte. Da hörte ich Jum-Jum schreien. »Mio, Mio, wo bist du?« schrie er. »Ich bin doch hier«, sagte ich. »Hier an der Tür.« Jum-Jum blickte nach allen Seiten und sah ängstlich, sehr ängstlich aus.
»Ich sehe dich nicht«, sagte Jum-Jum. »Ich kann doch nicht blind geworden sein, denn ich sehe die Tür und die schweren Schlösser und alles andere in unserem Gefängnis.«
Jetzt erst bemerkte ich, daß ich meinen Mantel mit dem Futter nach außen übergeworfen hatte. Das schimmernde Futter aus Märchengewebe, das mir die Weberin eingenäht hatte, war auf der Außenseite. Ich nahm den Mantel ab, um ihn zu wenden, und Jum-Jum schrie wieder auf.
»So darfst du mich nicht mehr erschrecken«, sagte er. »Wo hattest du dich versteckt?«
»In meinem Mantel«, sagte ich. »Sicher hat ihn die Weberin in einen Mantel verwandelt, der unsichtbar macht.«
Wir probierten es mehrere Male, und es stimmte wirklich, daß mein Mantel ein Tarnmantel war, sobald ich das Futter mit dem Märchengewebe nach außen drehte.
»Laß uns so laut schreien, wir wir können«, sagte Jum-Jum. »Vielleicht kommen die Späher herein und sehen nach, warum wir schreien. Dann kannst du dich an ihnen vorbeischleichen. Du kannst in deinem Tarnmantel hinausschleichen und aus Ritter Katos Burg nach Hause in das Land der Ferne entkommen.« »Und du, Jum-Jum?« sagte ich.
»Ich muß zurückbleiben«, sagte Jum-Jum, und seine Stimme zitterte ein wenig. »Du hast ja nur einen Mantel, der unsichtbar macht.«
»Ich habe nur einen Tarnmantel«, sagte ich. »Und ich habe nur einen Freund. Und wir werden zusammen sterben, wenn es nicht für uns beide eine Rettung gibt.«
Jum-Jum legte seinen Arm um mich und sagte: »Ich möchte so gern, daß du fliehst und dich nach Hause in das Land der Ferne rettest. Und doch kann ich es nicht lassen, glücklich zu sein, weil du bei mir bleiben willst. Ich versuche, nicht glücklich darüber zu sein, aber ich kann es nicht lassen.«
Gerade hatte er das gesagt, da kamen die verzauberten Vögel wieder. Mit schnellen Flügelschlägen brausten sie gegen unser vergittertes Fenster. Zwischen sich hielten sie etwas mit den Schnäbeln. Alle Vögel halfen es tragen. Es war etwas Schweres. Es war ein Schwert. Es war mein Schwert, das durch Stein schneiden konnte. »O Mio«, sagte Jum-Jum. »Die verzauberten Vögel haben dein Schwert vom Grunde des Toten Sees heraufgeholt.«
Ich sprang zum Fenster und reckte meine eifrigen Hände durch das Gitter hinaus und nahm das Schwert. Es flammte wie Feuer und tropfte von Wasser, aber selbst die Wassertropfen leuchteten wie Feuer. »Danke, ihr guten Vögel«, sagte ich. Aber die Vögel sahen mich nur mit ihren hellen, traurigen kleinen Vogelaugen an und flogen mit traurigen, klagenden Schreien über den Toten See hinaus. »Wie bin ich froh, daß wir auf unseren Flöten gespielt haben«, sagte Jum-Jum. »Sonst hätten die Vögel nie den Weg zu unserem Turm gefunden.« Ich hörte ihm kaum zu. Ich stand da mit dem Schwert in meiner Hand. Mein Schwert, meine Feuerflamme! Ich fühlte mich so stark wie nie zuvor in meinem Leben. Es rauschte und dröhnte in meinem Kopf. Und mein Vater, der König, fiel mir ein, und ich wußte, daß er an mich dachte.
»Jetzt, Jum-Jum«, sagte ich, »jetzt kommt Ritter Katos letzter Kampf.«
Jum-Jum wurde blaß, und seine Augen glänzten sonderbar.
»Wie öffnest du die sieben Schlösser?« fragte er. »Wie kommst du an den siebenundsiebzig Spähern vorbei?«
»Die sieben Schlösser öffne ich mit meinem Schwert«, sagte ich. »Und mein Mantel verbirgt mich vor den siebenundsiebzig Spähern.«
Ich legte den Mantel über meine Schultern. Das Märchengewebe schimmerte in der Dunkelheit. Es schimmerte, als wollte es Ritter Katos ganze Burg erhellen. Jum-Jum aber sagte:
»Ich sehe dich nicht, Mio. Und doch weiß ich, daß du da bist. Ich werde auf dich warten, bis du zurückkommst.«
»Und wenn ich niemals zurückkomme …« sagte ich und schwieg gleich wieder. Denn ich konnte ja nicht wissen, wer von uns siegen würde: Ritter Kato oder ich.
Es wurde still in unserem
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