Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
gewaschen.
Erst später fand sie heraus, dass man hier Geldstücke in große Schlitze stecken musste, um die vielen Waschmaschinen und Trockner zum Laufen zu bringen.
Im Salon war es kaum wärmer als draußen. Mira schleppte die beiden Säcke hinein, steckte die schmutzige Kleidung in die Maschinen und verbrachte Stunden damit, den sich drehenden Trommeln zuzusehen. Dann befüllte sie den riesigen Trockner mit der feuchten Wäsche, warf eine Münze in den Schlitz über der Bedienungsanleitung und setzte sich auf einen der unbequemen Plastikstühle.
Unter der Tür zog eiskalte Luft herein und ließ Miras Zehen zu kleinen harten Eisklötzen gefrieren.
Da hörte sie eine Stimme.
Sie mischte sich ganz leise unter das Gedröhne des Trockners und das aufgeregte Schleudern der Waschmaschinen.
»Mira!«, flüsterte die Stimme. Dann vernahm Mira nur noch das Sirren der Straßenbahn, die draußen vorbeifuhr.
Zwischen den wirbelnden Kleidungsstücken konnte sie ihr Spiegelbild in der Scheibe erkennen.
»Miranda, bist du das?«
»Ja«, rief Mirandas vertraute Stimme. »Endlich! Ich versuche schon den ganzen Tag, dich zu erwischen!«
»Warum rufst du mich dann nicht morgens im Bad beim Zähneputzen?« Mira sah sich rasch um. Gut, dass sie allein war!
»Habe ich ja versucht«, erklärte Miranda. »Aber im Spiegel war alles dunkel. Ich habe dich dann nur noch ab und zu in einer Schaufensterscheibe gesehen.«
»Mhmm«, brummte Mira.
»Wo bist du eigentlich?«, fragte Miranda neugierig.
»In einem Waschsalon!«
»Wieso das denn?«
»Bei uns ist der Strom ausgefallen. Wir können weder kochen noch heizen noch waschen. Und Licht haben wir auch keines.«
»Seit wann?«
»Seit gestern Abend. Es ist lausig kalt! Meine Mutter ist schon ganz verzweifelt und meine Tante schimpft die ganze Zeit auf die Hausverwaltung!«
»Tante Lisbeth ist bei dir?«
Mira nickte. »Sie ist gestern angekommen. Kurz bevor der Strom ausfiel.«
»Das klingt komisch.«
Ja, dachte Mira. Das war es auch. Weder sie noch ihre Mutter hatten es gewagt, Tante Lisbeths energisch angebotene Hilfe am Telefon abzulehnen. So hatte sie gestern mit zwei Koffernvor der Tür gestanden, um Mira und ihrer Mutter »bei den Weihnachtsvorbereitungen unter die Arme zu greifen«, wie sie es ausdrückte. Die Nacht hatte sie dann mit viel Geschnarche auf einem eilig aufgeklappten Feldbett im Wohnzimmer verbracht.
»Ich hoffe, das hat nichts zu bedeuten!«, murmelte Miranda.
Mira schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie meinst du das?«
Miranda schwieg.
»Was hast du?«, fragte Mira.
Miranda seufzte. »Gestern Abend habe ich versucht, über die Fernsichtkugel Thaddäus zu erreichen.«
»Und?«
»Du weißt, wie lange es gedauert hat, bis wir ihn überreden konnten, einen Spiegel für sein Baumhaus anzuschaffen. Seitdem haben wir jede Woche miteinander gesprochen. Jeden Freitagabend.«
Miranda lachte kurz. »Er hat sich sogar einen Spaß daraus gemacht, immer andere Frisuren für uns in dem Spiegel auszuprobieren.«
»Na, dann habt ihr immerhin öfter mit ihm gesprochen als mit mir!«, rutschte es Mira heraus. Zugleich hoffte sie, dass sie nicht allzu beleidigt klang. Tatsächlich hatte Miranda sie bisher nur zweimal kontaktiert. Einmal auf der Toilette und ein anderes Mal, als sie sich mit der Zahnseide die Zähne fädelte. Es war später gar nicht so einfach gewesen, ihrer Mutter zu erklären, mit wem sie da gesprochen hatte. Zumal ihre Mutter sie für die Existenz unsichtbarer Freunde eindeutig als zu alt befand.
»Jedenfalls wollte ich gestern mit ihm sprechen, weil ... morgen ...«, begann Miranda.
»Ich weiß, was morgen ist«, unterbrach Mira sie ungeduldig.
Wie sollte sie das je vergessen! Der Tag, auf den sie den ganzen Sommer und den ganzen Herbst gewartet hatte. Die längste Nacht des Jahres.
»Und was ist nun mit Thaddäus? Was meint er?«
»Gar nichts«, sagte Miranda. »Er ist weg. Ich kann nichts mehr erkennen, wenn ich durch die Kugel sehe.«
Mira starrte auf den Trockner. »Du kannst gar nichts erkennen?«
»Nein.« Miranda versuchte, ruhig zu klingen. »Vielleicht kommt er auch gleich wieder zurück und er war nur kurz weg.«
»Weiß denn Thaddäus nun, wie das Buch zu ihm kommen wird?«, fragte Mira.
»Er hat uns zumindest nichts gesagt. Manchmal ...« Mirandas Stimme wurde ganz leise. »Manchmal haben wir schon gedacht, er hätte die ganze Sache mit dem Buch vergessen.«
Miranda schwieg wieder eine Weile, und Mira dachte schon, der
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