Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
Trittleiter zur anderen. Mira versuchte ihr zu folgen, was weit weniger elegant aussah. Sie stützte sich seitlich auf das Dach und tastete sich mühsam Meter für Meter vorwärts. Dabei umwirbelten sie die Schneeflocken, und der Wind fuhr ihr mit eisigen Fingern ins Gesicht. Als sie beide am Ende des Daches angelangt waren, sah Mira trotz der guten Vorsätze nach unten. »Vorsicht!«, rief die Katze. Die beiden Männer in den blauen Overalls gingen gerade zurück zu ihrem Transportwagen. Einer sah nach oben und deutete dann mit dem Finger auf das Dach, auf dem sich Mira und die Katze befanden.
Mira versteckte sich hinter dem Dachgiebel. Nach einer Weile wagte sie sich wieder dahinter hervor und spähte nach unten. Der Transporter war weggefahren!
»Komm, weiter!«, rief die Katze und machte einen großen Satz auf das nächste Dach.
Mira starrte ihr hinterher und beschloss, keine Angst mehr zu haben. Sie holte tief Luft, drückte sich von dem Dach ab – und landete auf der anderen Seite. Schade, dass sie niemandvon ihren Freunden gesehen hatte! Nur die Katze wartete ungeduldig und schien weit davon entfernt, Mira für ihren waghalsigen Sprung zu loben.
»Da lang!«, rief sie und ließ nur die Spuren ihrer Tatzen auf dem verschneiten Dach zurück.
Wenig später befand sich Mira unter der Glaskuppel. Ihre Knie zitterten und ihre Hände waren blau gefroren. Durch die großen Glasscheiben sah sie ringsum die verschneiten Dächer der Stadt. Rauchfetzen entschwanden den Schornsteinen und verloren sich im weißen Himmel. Jetzt blickte Mira nach unten, weit nach unten, und konnte Autos, Busse und Straßenbahnen sehen, die sich auf den Straßen durch den braunen Schneematsch pflügten.
Der Raum unter der Kuppel ließ Mira an ein altes Gewächshaus denken.
Große Ölbilder lehnten gegen die Scheiben. Sie zeigten geheimnisvoll ineinander verschlungene Pflanzen und Bäume. Eine vage Erinnerung an ein wenig Grün. Der Boden war übersät mit Farbklecksen und auf dem oberen Rahmen einer riesigen leeren Staffelei hatte sich die graue Katze breitgemacht. Sie blickte auf Mira hinunter und schnurrte.
»Willkommen in meinem Reich, Mira!«
Mira zuckte zusammen. Die Katze kannte ihren Namen!
»Wer bist du?«
Die Katze leckte in aller Ruhe ihre Pfoten und machte dann einen Buckel, der fast wie eine Verbeugung aussah. »Polly Lux, Chefin der Geheimarmee der Haustiere !«
4. Kapitel
in dem Mira plötzlich zur Heldin wird
Das Licht der Mittagssonne legte sich in milchigem Weiß über die Katze, die nun aussah, als wäre sie auf der Staffelei eingeschlafen. Sie blinzelte Mira träge zu. Die geheime Armee der Haustiere ! Nie hätte Mira gedacht, dass es so etwas gab.
»Oh«, erwiderte Polly Lux. »Da bist du nicht die Einzige. Es ist schließlich das erste Mal in unserer Geschichte, dass wir uns zusammenschließen.«
»Aber ... aber woher kennst du meinen Namen?«
»Ich kenne dich schon lange, Mira! Schon seit das Buch der Metamorphosen verschwunden war. Die Schwalben erzählten uns in der Stadt davon. Ich brauchte eine Weile, bis ich dich fand, und ab dann war es mir eine Ehre, dich zu begleiten.«
Mira sah die Katze mit großen Augen an. Polly hatte sich erhoben. Da die Sonne nun zum ersten Mal an diesem Tag am Himmel erschien, lag ihr Gesicht im Gegenlicht.
»Seitdem beobachtest du mich?«
Die Katze sprang auf die untere Begrenzung der Staffelei auf einen völlig mit Ölfarben beklecksten Balken, an dem rechtseine Farbpalette mit vertrockneten Farben hing. Sie war nun mit Mira auf Augenhöhe und blickte sie fast spöttisch an.
»Du hast wohl gedacht, ich sitze ganz zum Vergnügen bei jedem Wetter auf der kalten Steinkugel?«
Mira dachte an die vielen Male, an denen sie die Katze auf dem Schulweg gesehen hatte. Sie war nur ihretwegen dort gewesen.
»Die ganze Zeit war ich mir sicher, dass keiner der schwarzen Zauberer deinen Aufenthaltsort kannte«, fuhr die Katze fort. »Das stimmte auch. Bis gestern Nachmittag. Da gab es diese Panne.«
Mira sah die Katze fragend an.
»Deine Tante kam!«
»Tante Lisbeth?«
»Wir haben nicht damit gerechnet, dass sie dich besuchen würde. Sie war die einzige Verbindung zu dir, von der die schwarzen Zauberer wussten. Als sie gestern bei dir und deiner Mutter aufkreuzte, wussten sie endlich, wo sie dich finden konnten.«
»Ist deshalb auch der Strom ausgefallen?«, fragte Mira verwundert.
Polly Lux nickte.
»Es war ein Leichtes für die schwarzen Zauberer, das zu
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