Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
der Hälfte saßen Männer, aber selten mehr als zwei. Der mit Steinplatten ausgelegte Boden war sauber gefegt – der Goldene Anker zählte zu den besseren Etablissements am Hafen. Nahe der Wand, unweit des Hintereingangs, entdeckte Ergil einen mächtigen Tonkrug. Der auffällig kleine Mann, der sich daran klammerte, trank allein. Múria hielt geradewegs auf ihn zu.
»Bombo von Bolk! Möge Eure Hoffnung nie sinken. Wie geht es Eurem Bein?«
Der Zwerg blinzelte über den Rand des Kruges hinweg. Sein Gesicht lag hinter einem Dickicht schwarzbrauner Haare, das zwar wild, aber keine s wegs fetttriefend oder verfilzt aussah, wie Ergil es einem Piraten zugetraut hätte… Der Prinz rief sich zur Ordnung. Was wusste er schon über diese räuberische Zunft? Wahrscheinlich nicht mehr als ein paar Harkoniaden, von denen die meisten aus dem unerschöpflichen
»Erfahrungsschatz« der Flussgolderin Plitsch stammten. Die jüngsten Mahnungen seiner neuen Lehrerin beherzigend, warf Ergil einen zweiten Blick auf den »Geschäftsmann«.
Bombo von Bolk wirkte alles andere als Ehrfurcht gebietend, eher gnomenhaft. Aus seiner grauen Jacke ragten auch nirgendwo Säbel oder Dolche. Sie hatte nicht einmal einen Fleck. Die blitzenden goldenen Messingknöpfe schienen ebenfalls vollständig vorhanden zu sein. Selbiges ließ sich von den Verschlusshilfen an der gleichfarbigen W este sagen, die seinen durchaus fälligen Leib etwas zu eng umspannte. Das Haupthaar wurde hinter dem Kopf von einem Band zusammengehalten, was dem dicken Büschel das Aussehen eines gestutzten Pferdeschweifs verlieh. Typisch piratisch?, fragte sich Ergil, dem zumindest diese Frisur fremd war. Ansonsten sah der Kapitän zwar nicht gewöhnlich, aber ziemlich normal aus. Er hätte Stadtschreiber sein können oder vielleicht der Leiter eines Kontors.
Sein den Blicken des Betrachters nur eingeschränkt zugängliches G e sicht wirkte, soweit der kurze, aber ungemein fällige Vollbart solche Rückschlüsse überhaupt zuließ, eher gutmütig als mörderisch. Den aus den Ohren sprießenden Haarbüscheln konnte man sogar etwas Komisches abgewinnen. Die fleischige, großporige, von oben bis unten gleich breite Nase sah aus wie eine Wurst und sprach jedem Gedanken an Verschlagenheit Hohn. Ebenso die Lippen. Sie waren nicht dünn wie bei einem Intriganten, sondern so wulstig wie luftgefüllte Rettungsvorrichtungen für den Fall plötzlichen Kenterns… Ergil unterbrach seine analytischen Gedankengänge abermals, als ihm bewusst wurde, dass er schon wieder gegen eine von Múrias Merksätzen verstoßen hatte. Wir alle sind, was wir tun, und nicht, was wir oder andere über uns sagen. Ohne Frage schloss dies auch die landläufigen Vorstellungen über das Aussehen segelnder Räuberbanden mit ein.
Bombo von Bolk hatte sich derweil hinreichend gesammelt, um eine klare Antwort geben zu können. »Verzeiht, Herrin Múria, wenn ich mich erst auswundern musste. Ich habe Euch nie in Hosen gesehen und – abgesehen von meinen eigenen Männern – auch niemals in Begleitung so vieler Herren.«
Sie lächelte. »Ihr habt das Käuzchen vergessen.«
Er blinzelte in Richtung der Schulter des Prinzen. »Stimmt. Seid Ihr wieder einmal unterwegs, um Pfeile, aus Körpern zu ziehen oder klaffende Wunden zuzunähen?«
Sie senkte die Stimme. »Nicht alle meine Patienten sind Piraten. Dürfen wir uns zu Euch setzen?«
»Wie könnte ich so einer schönen Frau eine Bitte abschlagen?«, antwortete er überschwänglich und deutete auf die freien Stühle.
»Ich nehme Euch beim Wort«, sagte Múria.
Der Wirt kam mit den bestellten Getränken, lud die Krüge vor den Gästen ab und trollte sich wieder.
Bombo beugte sich weit über den Tisch wie jemand, der seinem Gegenüber e t was streng Vertrauliches zu sagen hatte.
»Ich schätze Eure Gesellschaft überaus, Múria. Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, Ihr seid nur gekommen, um Eure Liquidation einzufordern?«
Ergil staunte über das manierliche Auftreten des Piraten w ie auch über seine gewählte Sprache. Als Múria diesem nun in leisen Worten ihre drei menschlichen Begleiter vorstellte, wurden seine schwarzen Knopfaugen immer größer.
»… und der junge Mann an meiner Seite ist Ergil, Sohn Torlunds, des Großkönigs der sechs Reiche, rechtmäßiger Erbe des Thrones von Soodland«, schloss sie die Aufzählung.
Bombo starrte sie nur an. Sein Kinn hing schlaff herab.
»Ihr werdet die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf
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