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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Spelunken und Lagerhäusern entlang bis zum Ende des gepflasterten Weges, der direkt in den Seltensunder See zu führen schien. Linker Hand bemerkte er an der Hauswand einen sachte schaukelnden Anker, der im Schein einer Sturmla m pe golden schimmerte. »Werden wir den Piratenkapitän dort finden?«
    »Davon gehe ich aus. Falgon und Dormund müssten ebenfalls längst eingetroffen sein.«
    »Unsere Pferde hoffentlich auch.«
    »Die sowieso. Du hast ja gehört, was Folger, der Mann von der Stadtwache, gesagt hat. Kavitha kennt zwei Dutzend Orte in der Stadt. Ich muss ihr nur den Namen ins Ohr flüstern und schon läuft sie dorthin. Der Goldene Anker is t eine r davon.«
    »Dann muss sie gescheiter sein als mancher Mensch.«   
    »Solange dein Hengst ihr nicht d e n Kopf verdreht, hast du sicher Recht. Aber eigentlich kann ja nichts passieren.«
    »Wieso?«
    »Na, sie haben doch eine Anstandsdame mitgenommen: Schekira.«
    Die beiden lachten.
    Für die nächsten hundert Schritte ließ sich Ergil ganz von dem Treiben auf der Straße vereinnahmen. Weil vor dem Tor nur wenige Gebäude den gelben Leuchtanstrich besaßen, brannten überall Lampen. Einige verströmten einen beißenden Geruch, der sich mit dem Gestank herumliegenden Unrats und dem Duft von frisch gebratenem Fisch und Fleisch vermischte. Múria entgingen nicht die staunenden Augen ihres im wahrsten Sinne des Wortes hinterwäldlerischen Schülers – sie saugten alles Fremde auf wie ein trockener Schwamm.
    Nachdem die Sonne untergegangen sei, käme das Leben vor der Stadt nicht etwa z u r Ruhe, sondern erst richtig in Fahrt, erklärte die neue Lehrerin der Prinzen. Nicht wenige angesehene Bürger Seltensunds verirrten sich des Nachts auf der Suche nach Kurzweil, Vergnügen und dem schnellen Geld in allen möglichen Verkleidungen hierher. (Die Stadtwache berechne die Höhe der Bestechung für eine außerordentliche Toröffnung nach der Stunde des Ausgangs, je später, desto teurer.) In den Lagerhäusern wurden Waren umgeschichtet, die bei Tage unsichtbar blieben. Aus den Hütten traten Gestalten unter den Sternenhimmel, die in jeder Beziehung zwielichtig waren. Über Feuern wurden Spieße mit Tieren gedreht, die sich vor Stunden noch fröhlich im Schlamm gewälzt hatten. Und in den Spelunken schäumte das Bier.
    Ergils Gedanken kehrten notgedrungen zur bevorstehenden Begegnung mit dem Piratenkapitän zurück, weil der Goldene Anker nur noch wenige Schritte entfernt war.
    »Wie willst du ihn überreden, Múria?«   
    »Mit deiner Hilfe.«
    »Mit meiner Hilfe…?« Ergils Hand legte sich auf seine Brust und er schüttelte zweife l nd den Kopf.
    »Du bist Torlunds Erbe.«
    »Darum wird er sich kaum scheren.«
    »Wie kannst du dir ein Urteil über Bombo erlauben, ohne ihm je begegnet zu sein?«, fragte sie überrascht.
    »Er ist ein Flusspirat.«
    »Und?«
    »Sag t da s nich t alles?«
    »Für jemanden, der sich gerne von Vorurteilen blenden lässt, allerdings.«
    Der Hieb hatte gesessen. Allmählich konnte Ergil nachempfinden, wie es am Morgen seinem Bruder ergangen war.
    Múria milderte die strenge Lektion mit einem Lächeln ab.
    »Vielleicht schätzt du Bombo falsch e in, mein Lieber. Ich kann die Art und Weise, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet, nicht gutheißen, aber vergiss nicht, was ich dir über die Hure gesagt habe. Kein Mensch oder Sirilo lässt sich mit einem einzigen Wort beschreiben, egal ob dieses nun ›Dieb‹ oder
    ›Held‹ oder sonst wie lautet. Wir alle sind, was wir tun, und nicht, was wir oder andere über uns sagen.«
    Ergil nickte. »Dann hoffe ich, er wird sich für das Richtige entscheiden.«
    »Das liegt in deiner Hand.«
    Ehe er sie nach der Bedeutung ihrer Worte fragen konnte, trat sie durch ein Portal in den Innenhof des Gasthauses. Ein Pferdeknecht eilte ihr freudestrahlend entgegen. Er war schwer und untersetzt, hatte schütteres schwarzes Haar und die Fröhlichkeit eines anspruchslosen Mannes.   
    »Da seid Ihr ja endlich, Herrin«, sprudelte er hervor und vergaß vor lauter Aufregung sogar den traditionellen Gruß.
    »Eure Pferde sind schon vor…«
    »Ich weiß, Jakelf. Stehen auch ein Brauner und ein Rappe dabei?«
    »Ja. Woher wisst Ihr das?«
    »Die Besitzer sind unsere Freunde. Finden wir sie in der
    Gaststube?«
    »Ich glaube, sie haben den Herrn nach Zimmern gefragt. Vielleicht sind sie oben.«
    Ergil ließ seinen Blick über die Rückfront des Gasthofes schweifen, um nach hellen Ritzen in den Fensterläden

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