Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
auch schon das erste Tier zerteilte. Er wusste nicht genau, was er da tat. Ließ er nun das gläserne Schwert kreisen, stechen und wieder schlagen, oder schnappte es selbst wie eine Schlange nach den auf ihn niederprasselnden Fischleibern? Der Kampf glich eher einem Traum als der Wirklichkeit. Einem Alptraum. Denn während um ihn herum der Berg erschlagener Fische immer größer wurde, spürte er seine Kräfte schwinden.
Vielleicht war es ja die Macht des Höchsten, die Jazzar - sirils Schwert zu einer so furchtbaren Waffe machte, aber offenbar musste man sich der himmlischen Hilfe als würdig erweisen. Warum riss der Ansturm der Fiederfische nicht endlich ab?, fragte sich Twikus. Er fühlte ein Ziehen in den Armen, das mit jedem Herzschlag schmerzhafter wurde.
Dabei hätte er es besser wissen müssen. Schon in Dormunds Schmiede, beim Kampf gegen die Ischschsch, hatte Himmelsfeuer ihn die Grenzen seiner Kraft erkennen lassen. Ja, sicher, damals war er ohnehin vom Angriff der Formlosen geschwächt gewesen. Twikus stöhnte. Seine Muskeln verhärteten sich.
»Ihr müsst mir helfen. Ich kann gleich nicht mehr«, rief er über die Schulter.
»Das tun wir längst«, antwortete Falgon keuchend.
Also doch keine Motten! Der ernüchternde Gedanke li e ß Twikus fast auf die Knie sinken.
Er spürte – den Blick brauchte er hierfür gar nicht zu heben –, wie ein Fiederfisch senkrecht von oben auf ihn niederstieß. Für die Dauer eines Augenzwinkerns stieß er Zijjajim weit nach oben, direkt in den geöffneten Rachen hinein. Das sterbende Tier konnte zwar nicht mehr zuschnappen, aber sein Gewicht traf ihn trotzdem mit voller Wucht. Viel zu geschwächt, um den Stoß noch abzufangen, brach er zusammen.
Sein Schwert steckte im knorpeligen Kopf des Fisches fest. Mit einem verzweifelten Schrei versuchte er es herauszuziehen. Schon spürte er den nächsten Angreifer von oben nahen und wusste, dass er seine Waffe nicht mehr rechtzeitig freibekommen würde. Deshalb blickte er einfach nach oben. Direkt in die Bärenfalle.
Als das Tier nur noch zwei oder drei Fuß über Twikus’ Gesicht war, traf es Dormunds Hammer. Die Wucht des Schlages schleuderte es zur Seite.
»Ehe sie dich kriegen, mein Prinz, müssen sie erst mal mich bekommen«, grunzte der Schmied.
Twikus wollte sich bedanken, s e in Mund war schon geöffnet, als eine überraschende Wahrnehmung ihn innehalten ließ.
Stille.
»Wo sind sie hin?«, hörte er Bombo sagen.
»Haben wir sie vertrieben?«, fragte ein anderer.
Falgon half seinem Zögling auf die Beine und suchte gleichzeitig den Himmel nach Fiederfischen ab. Vom lichten Gewand des Tages hing nur noch der Saum über dem Horizont. Der Mond, voll und prall, hatte die Sonne abgelöst.
»Ich weiß nicht«, sagte der Waffenmeister leise. »Es waren doch genügend da, um die Sache zu Ende zu bringe n.«
Dormund rieb sich mit der Handfläche über den kahlen Kopf.
»Ob die grätigen Viecher schlau genug sind, um Verluste und Gewinn gegeneinander aufzu…?«
»Ihr starrt alle in die falsche Richtung«, unterbrach ihn Múria. Sie war aus dem Schutz des Kajütenhauses herbeigeeilt und deutete auf die Backbordseite des Schiffes.
Zahlreiche Augenpaare wandten sich nach Osten.
»Herr der himmlischen Lichter, steh uns bei!«, hauchte Falgon und mit ihm äußerten sich viele der erschöpften Männer ähnlich verzagt.
Am Ostufer sammelten sich Schwärme von Fiederfischen wie schwarze Gewitterwolken. In dem unablässigen Gewoge der kugelförmigen Haufen konnte Twikus die einzelnen Tiere nicht zählen. Waren es ein oder zwei Dutzend dieser Furcht erregenden Gebilde? Er ließ sein Schwert wieder aufglühen, obwohl ihm die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens allzu schmerzlich bewusst war.
Die Luft dröhnte.
»Twikus!«, sagte Múria eindringlich. »Selbst Jazzar - sirils Schwert kann uns jetzt nicht mehr retten. Aber wir haben noch eine Chance, wenn du sofort die Kontrolle an Ergil übergibst.«
Er starrte sie grimmig an. »Warum er und nicht ich?«
»Weil du noch nicht so weit bist. Es war dein Bruder, der heute das Wasser…«
»Ich weiß, was er getan hat«, fauchte Twikus.
Múria schloss die Augen, als müsse sie sich erst sammeln, ehe sie beherrscht erwiderte: »Was du empfindest, ist nur allzu normal, mein Lieber. Eine gesunde Rivalität zwischen Brüdern kann sogar etwas Gutes sein. Aber hier geht es um das Leben von uns allen.« Sie deutete auf die Gruppe der müden und verletzten Krieger.
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