Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Blessuren seiner Kameraden. Die beiden kannten sich schon von früher. Als vor einigen Jahren Engwin mit seiner begrenzten Kunst am Ende gewesen war, hatte er sie um Hilfe gebeten. Schon damals konnte sie dem Kapitän und ein paar anderen Seemännern mit Nadel, Faden und heilenden Kräutern wieder auf die Beine helfen.
Auch das Schiff war, wie am Morgen nach dem Überfall der Fiederfische sichtbar wurde, von zahlreichen Wunden gezeichnet. Die Zähne der Tiere hatten vom Bug bis zum Heck tiefe Schrunden hinterlassen. Niemandem war im Dunkeln aufgefallen, dass sie sich schon fast durch ein Oberlicht im Vorschiff gefressen hatten; die Grätings – herausnehmbare, hölzerne Gitterroste – glichen nur noch einem morschen Korbgeflecht, das bei der geringsten Belastung zerbrechen musste. Auch die Takelage ließ die Spuren des wilden Angriffs erkennen. Taue und Leinen waren gekappt oder bis ans Zerreißen aufgespleißt. Die Masten sahen aus, als hätten Bären ihre Pranken daran geschärft. Segel waren durchlöchert, einige regelrecht zerfetzt. Das Groß - Bramsegel fehlte ganz; die Fische hatten es kurz vor dem Verschwinden der Seskwin samt Rah vom Mast gerissen. Nur die Nixe am Galion war wie durch ein Wunder unbeschädigt geblieben.
Im ersten Morgengrauen begannen die Reparaturarbeiten. Bombo meinte, der größte Teil davon könne während der Fahrt durchgeführt werden. Als die Sonne etwas höher am Himmel stand, ließ der Kapitän Anker werfen und die Beplankung unterhalb der Wasserlinie nach weiteren Schäden untersuchen.
Wenigstens hier erwies sich die Meerschaumkönigin als makellos.
Während die Taucher sich noch durch die grünen Fluten des Groterspunds arbeiteten, wurden die toten Fische ins große Beiboot verladen und ans Ufer verbracht. Ursprünglich hatte Bombo sie einfach über Bord werfen wollen, aber Schekira warnte eindringlich davor. Der Fluss würde die Kadaver nach Norden tragen, in Richtung der Fiederfische. Möglicherweise reichten schon einige Tropfen Blut im Wasser aus, sie erneut zur Jagd anzustacheln. Die toten Tiere wurden am Ufer abgeladen und einfach liegen gelassen. Der Schmied hatte empfohlen, sie zu verbrennen, aber auch dagegen erhob die Elvin Einspruch. Viel zu verräterisch, meinte sie. Rauchwolken seien am Himmel über viele Meilen hinweg zu sehen. Dann doch lieber ein Schwarm kreisender Geier, in der Steppe ein alltägliches Bild.
»Such ein paar Fiederfische raus, Ollebart, die keine blutigen Gebisse haben«, wies Bombo seinen Schiffskoch an.
»Wusste gar nicht, dass du so empfindsam bist«, gab der spindeldürre Smutje zurück.
Der Kapitän verzog keine Miene. »Möchtest du etwa e i n Tier essen, das ein Stück von deinen Kameraden geschluckt hat?«
Ollebart ersparte sich die Antwort.
Ergil hatte zwischenzeitlich die kostbaren Pfeile seines Bruders eingesammelt. Als er die Anweisung des Kapitäns hörte, kam ihm ein Gedanke. Er schlich – für eine forschere Gangart fehlte ihm die Kraft – zum Kajütenhaus, zog das Messer seines Bruders aus der Scheide und beugte sich zu dem Fiederfisch hinab, den Twikus als Ersten getötet hatte. Mit flinken Schnitten löste er einen der dreieckigen Zähne aus d em Kiefer des toten Tieres und danach eine der grünblau irisierenden Schuppen vom Körper. Der Zahn für Twikus und die Schuppe für mich, dachte er. Er wollte Dormund darum bitten, Löcher in die Trophäen zu bohren, um sie anstelle des Elvenschwertes auf die Satimkette seiner Mutter zu fädeln. Die Andenken verschwanden in der Hosentasche.
Während sein Blick noch an den starren Augen des toten Tieres hing, blitzte ihm eine andere Idee durch den Sinn. Warum nicht mehr Zähne aus dem Gebiss herausbrechen? Twikus würde die Pfeile ersetzen müssen, die er über dem Fluss verloren hatte. Reparaturholz gab es genug an Bord, aber ihm fehlten die Eisenspitzen; zur Jagd auf eine nicht allzu hart gepanzerte Beute waren die Flederfischzähne allemal geeignet. Als Ergil sich von dem Kadaver aufrichtete, schwindelte ihn. Er war zum Umfallen erschöpft. Die Benutzung seiner Gabe kostete jedes Mal Kraft, aber die »Umlenkung« eines ganzen Segelschiffes war für ihn beinahe zu viel gewesen. Seine Augen wanderten über das Deck. Er musste irgendwo ein Plätzchen finden, wo er sich ausruhen konnte. Beim Fockmast entdeckte er einen Haufen kaputter Taue, die bei den Aufräumarbeiten zusammengeklaubt worden waren.
Alsbald beobachtete er von seinem aus gekappten Leinen und Wanten
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