Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Fiederfische verwirrt. Von allen Seiten rasten s i e aufeinander zu. Und krachten zusammen. Etliche Tiere verbissen sich in ihre Artgenossen, um ihre unnatürliche Blutgier auf diese Weise zu stillen.
Der Fluss brodelte noch lange in dieser Nacht und das Wasser färbte sich blutrot.
17
MURUGANS SUCHE
Die Dingan war selbst für ein Geschöpf wie den großen Murugan beunruhigend. Seine empfindlichen Sinne – das scharfe Gehör, die weit sehenden gelben Augen und die überaus feine Nase – litten unter der Verzerrung sämtlicher Wahrnehmungen in der Nähe der Schlucht. Als Welpe hatte er einmal in einen giftigen Pilz gebissen und sich ähnlich berauscht gefühlt.
Deshalb hatte sich der graue Jäger schon vor Tagen nach Osten gewandt, um mehr Abstand zum Schlund des uralten Geschöpfs zu gewinnen. Seine Beute war ihm zwar übe r die wankelmütige Brücke entkommen, aber davon ließ er sich nicht beirren. Ausdauernd wie das Wasser eines Flusses folgte er in sicherem Abstand dem Verlauf der Dinganschlucht nach Norden.
Murugan konnte nur ahnen, wohin sich der Junge mit dem gespiegelten Herzen wenden würde. Vorerst jedenfalls – beim nächsten Vollmond würde sich das ändern. Die Vorstellung, bald wieder Mensch und Tier mit seinem Heulen in Angst und Schrecken zu versetzen, verschaffte ihm einen wohligen Schauer.
Bis dahin trottete der Sindran weiter nach Norden. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Solange er genug Beute reißen und seine mächtigen Muskeln mit Nahrung versorgen konnte, brauchte er kaum zu ruhen. Manchmal war es sehr nützlich, sogar im Laufen schlafen zu können. In dieser Beziehung hatte ihm seine Beute nichts entgegenzusetzen.
Als die Nacht des Vollmonds nahte, wurde seine Ruhelosigkeit immer größer. Vor zwei Tagen hatte er vor Erregung in der Pandorischen Ebene eine ganze Schafherde gerissen, obwohl er nur ein Tier fraß. Ihr Hirte war vermessen genug gewesen, ihn mit einem lächerlichen Speer anzugreifen. Die Eisenklinge vermochte nicht einmal sein Fell zu ritzen. Sie brach einfach ab und der Dummkopf erfuhr, um wie viel tödlicher Sindranzähne waren. Schon die Erinnerung daran ließ das Blut des grauen Jägers in Wallung geraten. Bald würde er mit seiner wölfischen Stimme den Herrn der eisigen Höhen anrufen. Der Gebieter würde ihn zum Kind der zwei Völker führen.
Murugans scharfer Verstand gab ihm die Gewissheit, mit dem Marsch entlang der Dinganschlucht genau das Richtige zu tun. Irgendwann musste sich das Kind mit dem gespiegelten Herzen dorthin wenden, wo auch er hinging.
Nach Soodland.
18
DIE ÖDNIS
Die Meerschaumkönigin hatte den Angriff der Flederfische den Umständen en t sprechend einigermaßen passabel überstanden. Das war die gute Nachricht. Die schlechte dagegen betraf den Zustand der Besatzung. Im Kampf mit den Fiederfischen hatte ein Seemann sein Leben gelassen. Ein anderer war dem Tode nahe. Acht weitere würden aufgru nd ihrer schweren Verletzungen auf Wochen für die Arbeit an Bord ausfallen. Ohne irgendwelche Blessuren war eigentlich keiner der Männer davongekommen. Wer keine Biss- oder Schürfwunden, Knochenbrüche oder Quetschungen hatte, der sollte zumindest innerlich noch sehr lange unter den Nachwirkungen des furchtbaren Kampfes leiden.
Múrias Anwesenheit auf dem Schiff erwies sich für die Geschundenen in diesen dunklen Stunden als großer Segen. Wie ein überirdisches, unverwundbares Wesen hatte sie das Gemetzel ohne den geringsten Kratzer überstanden. Gleich nach der »Umlenkung« – so nannte sie die mit Ergil gemeinsam vollzogene Rettung des Schiffes – kümmerte sie sich um die Verletzten. Sie nähte klaffende Wunden, richtete geborstene Knochen, renkte ausgekugelte Schultern ein und sprach jedem Trost zu. Mit ihrem blonden Haar und ihrer unvergleichlichen Schönheit war sie für die zerschlagenen Männer wie ein strahlender Engel, der ihnen neuen Mut gab.
Aber auch Schekiras Gegenwart baute so manchen müden Krieger wieder a uf. Die Elvenprinzessin hatte das stromaufwärts versetzte Schiff kurz nach der »Umlenkung« wiedergefunden. Zuerst machte sie sich große Vorwürfe, weil sie als Späherin versagt zu haben glaubte. Múria konnte ihr diesen Selbstzweifel jedoch schnell nehmen.
Als Hilfsheiler hatte die Herrin der Seeigelwarte ferner den Bootsmann Engwin eingespannt, einen kräftigen, dunkelhaarigen Seebären mit erstaunlich geschickten Händen; er kümmerte sich normalerweise um die
Weitere Kostenlose Bücher