Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
fluchte Bombo leise und brüllte zurück: »Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Es geht um die Sicherheit von…«
»Nein!«, unterbrach ihn schreiend der Hauptmann. Mit der r echten Hand fuchtelte er abwehrend in der Luft herum. »Wir haben stromabwärts eine Kette gespannt. Wenn Ihr nicht sofort anhaltet, wird euer Schiff dagegen krachen und…«
»Wie weit?«, brüllte Bombo entsetzt zurück.
»Weniger als eine Meile.«
Bombo wirbelte a uf dem Absatz herum und bellte Befehle. Die Verteidiger hatten die Stelle für ihre Barriere mit Bedacht gewählt. Auf den letzten Meilen war der Fluss zunehmend schmaler und die Strömung stärker geworden. Ein Wendemanöver konnte nur gelingen, wenn man das S chiff in der Strömung drehte. Der Hauptmann sprengte mit seinem Trupp davon, offenbar um die Männer an der Kette vor dem nahenden Unglück zu warnen.
Währenddessen hallten die Kommandos wie Peitschenhiebe über das Schiff. Männer rannten übers Deck, kletterten wie Eichhörnchen die Wanten empor und bezogen Stellung an den Brassen. »Hart über das Ruder!«, schrie Bombo. Engwin wiederholte den Befehl für den Rudergänger. Der Kapitän ließ die Segel des Fockmastes backbrassen, also gegen den Wind stellen, um Fahrt aus dem Schiff zu nehmen. Die Seskwin drehte sich luvwärts. Viel zu träge, wie Ergil fand, denn die Leibgardisten hatten ihre Pferde in Sichtweite schon wieder gezügelt. An den beiden Ufern erschienen immer mehr Soldaten. Auf die Entfernung sahen sie aus w ie kleine, schillernde, umeinander wuselnde Käfer. Von der Kette war im hohen Gras der Böschung nichts zu sehen, aber der Prinz glaubte sie zu spüren.
»Beim Allmächtigen, das ist zu nah. Viel zu dicht«, flüsterte Falgon.
Wo ist Múria?, fragte Twikus unvermittelt.
Sein Bruder blickte sich um, konnte sie aber nirgends entdecken. Um diese Zeit schaut sie meistens unter Deck bei den Kranken vorbei. Wieso?
Mit ihrer Hilfe könnten wir wieder das Schiff umlenken.
Ergil beugte sich über die Reling und sah zu dem Kapitän hinüber, der rechts von ihm stand. Bombo macht mir nicht den Eindruck, als glitte ihm die Sache aus der Hand.
Tatsächlich gab der Pirat seine Anweisungen mit kühler Präzision. Er und sein ehemaliger Bootsmann waren augenscheinlich gut aufeinander ei n gespielt. »Warte, bis ich ›Jetzt!‹ sage«, erklärte der Kommandant leise. Seine Blicke huschten über das ganze Schiff. »Gleich, wenn unsere Hübsche dwars stromab treibt, lässt du die Segel an beiden Masten lebendbrassen. Dadurch verlieren wir noch mehr Fahr t.«
Die Meerschaumkönigin stellte sich quer zum Kiel in den Fluss. »Jetzt!«, stieß Bombo hervor und Engwin brüllte die Kommandos. Die Segel killten knatternd, als der Wind seitlich an ihnen entlangstrich. Nur die Strömung trieb das Schiff noch voran. Bombo befahl, die Segel des Fockmastes zu füllen, um es weiter herumzudrücken.
Ergil konnte inzwischen die dunkle Linie in der Böschung ausmachen, wo die Kette in das Wasser tauchte.
»Verdammt, das reicht uns nicht!«, knurrte der Kapitän.
»Lass Anker werfen, E n gwin!«
Der Steuermann wiederholte den Befehl.
»Warum habt Ihr das nicht gleich angeordnet?«, fragte Dormund.
»Die meisten Landratten überschätzen den Anker«, erklärte der Kapitän, während er mit den Augen weiter die Ausführung seiner Kommandos überwachte. »Ohne das Gewicht der Trosse könnte er ein Schiff wie die Seskwin nicht einmal an Ort und Stelle halten, geschweige denn es zum Stehen bringen. Wenn er sich irgendwo festhakt, werden wir ihn verlieren. Im schlimmsten Fall wird er uns das Schiff von den Be t ingen über die Spill bis zum Kabelgatt hinab aufreißen.«
»Und warum lasst Ihr ihn dann überhaupt werfen?«
»Weil das Schiff wichtiger ist als der Anker. Mit etwas Glück wird er den Bug gerade noch rechtzeitig herumziehen, damit die Segel wieder voll stehen. Mit dem Wind haben wir noch eine Chance, gegen die Strömung anzukommen.«
Der Anker platschte ins Wasser. Sein langes, schweres Tau sauste schnarrend durch die Klüse. Langsam drehte sich der Schoner weiter in die Strömung. Dann kam der rotierende Kopf der Ankerwinde schlagartig zum Stehen. Ein Ruck ging durch das Schiff, gefolgt von einem Furcht erregenden Ächzen. Aber der Bug drehte sich nach Süden.
»Wir haben achterlichen Wind«, sagte Engwin. Er war kreidebleich geworden.
»Ja, aber unsere Hübsche treibt leider immer noch in der Strömung«, knirschte Bombo.
Vom Ufer
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