Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
anbelangt, meine ich.«
»Immerhin zähle ich zehn Lenze mehr als Ihr, Hoheit.«
»Und habt trotzdem schon beim Herzog einen starken
Eindruck hinterlassen.«
Tusans Blick traf sich kurz mit dem des Palastherrn. »Qujibo ist mir sehr wohl gesinnt. Ihr müsst nicht alles glauben, was er übe r mic h sagt.«
»Er behauptete, Ihr kenntet keine Ang s t.«
»Da s stimmt.«
»Tatsächlich?«
»Sie ist mir vor etwa acht Jahren abhanden gekommen, als ich mit ansehen musste, wie meine Mutter von pandorischen Strauchrittern ermordet wurde.«
»Oh! Das tut mir sehr Leid. Ich weiß nicht, ob es Euch etwas bedeutet, aber ich habe ein ähnliches Schicksal erlitten.«
»Eure Geschichte ist mir sehr vertraut, Prinz. Meine Mutter hat mir oft davon erzählt. Sie sagte, zu Torlunds Zeiten hätte es keine marodierenden Banden an der Grenze zwischen Pandorien und dem Stromland gegeben . «
»Dann ist der jetzige Großkönig in gewisser Hinsicht für unser beider Unglück verantwortlich.«
»Nicht nur für das unsrige, wie mir scheint«, sagte Tusan voll Bitterkeit.
»Man muss Wikander für seine Untaten zur Rechenschaft ziehen.«
Der Fährtensucher li e ß ein schnaubendes Geräusch vernehmen. »O ja! Aber wie bringt man einen Zauberer zur Strecke?«
»Ich halte das für abergläubisches Gerede. Er ist ein Mensch von Fleisch und Blut. Man muss nur an ihn herankommen.«
»Ich hörte, das sei ziemlich schwierig.«
»Angenommen, Ihr könntet uns helfen, genau das zu schaffen, würdet Ihr es tun?«
Tusans grüne Augen musterten den Prinzen. »Ist das Euer
Ernst?«
»Ja. Wir gehen nach Sooderburg. Es stellt sich nur die Frage, wie wir dorthin gelangen. Die Reiter der Weststeppen haben den Weg nach Norden blockiert. Und wenn wir den Fendenspund hinaufsegeln, werden uns spätestens in Ost- Blund die Pandorier an den Fersen hängen.«
»Das ist wohl wahr!«
»Man müsste einen Weg nehmen, den es eigentlich gar nicht gibt. Eine geheime Route durch den Grotwall, die in den Norden Pandoriens führt, von wo aus es nicht mehr weit nach Soodland wäre.«
»Täusche ich mich oder hat man Euch bereits von dieser Verbindung nach Osten erzählt?«
»Bei Harkon Hakennase habe ich von einem ›Tal der Fischer‹
ge l esen.«
»Da s is t de r Weg.«
Ergil schluckte. »Er soll gefährlich sein.«
»Nur, wenn man sich vor Netzlingen fürchtet.«
»Gibt es eine andere Möglichkeit, schnell und unbemerkt an die Küste des Schollenmeers zu gelangen?«
»Nein. Gäbe es noch andere Pässe über d en Grotwall, dann hätten Wikanders Armeen sie vermutlich schon vor Jahren benutzt, um ins Stromland einzufallen.«
»Ihr hörtet Euch so an, als könnte Euch der Weg durch das Tal nicht schrecken.«
»Wie ich bereits sagte, Hoheit: Mich kann nichts mehr ängstig e n. Die Frage ist, ob Ihr und Eure Gefährten dieses Risiko eingehen wollt.«
»Wäret Ihr denn bereit, uns zu führen?«
Tusans Blick wanderte über die entschlossenen Gesichter in der Runde und kehrte schließlich wieder zu Ergil zurück. »Ich kann mich Euch kaum verweigern, jetzt, nachdem ich Eure Absicht kenne. Ja, ich geleite Euch durch den Grotwall nach Pandorien.«
Der Prinz atmete auf. Er glaubte körperlich zu spüren, wie die gespannten Blicke seiner Freunde auf ihm lagen. Sie erwarteten eine Entscheidung. Von ihm. Dem Jüngsten der Gemeinschaft.
Sein Kopf war mit einem Mal überraschend klar, als er verkündete: »Wir haben die schnellsten Reittiere der Welt und den besten Führer des Stromlandes – was kann da noch schief gehen? Wohlan, Freunde, lasst uns nach Sood lan d ziehen!«
22
DAS TAL DER FISCHER
Nicht nur den Prinzen war der überstürzte Abschied von Bombo und seinen Piraten schwer gefallen. Wenige Stunden nach der Vertreibung des Waggheeres hatte die Gemeinschaft um Twikus und Ergil samt ihren weißen Reittieren ein Schiff bestiegen, das sie den Fendenspund hinauf ins Vorgebirge des Grotwalls bringen sollte. Die Mannschaft der Meerschaumkönigin winkte ihnen von der Mole aus nach. Die Piraten hatten in Außerachtlassung von Artikel drei der Schiffssatzung ihre »uneingeschränkte Unterstützung beim Freiheitskampf des Herzogtums Bolk« zugesichert. Quondit versprach ihnen dafür »im Falle unseres Überlebens Straffreiheit von allen lässlichen Sünden«, was nach seinem Verständnis die gesamte Freibeuterei gegen Hjalg o rds Schiffe umfasste.
Nach drei Tagen verließen die Gefährten das Segelschiff. Ergil hatte während
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