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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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er schon so lange durchgehalten hatte. Wenn er Ausdauer besaß, dann im fast reglosen Beobachten von Waldbewohnern, aber nicht darin, wie ein Wahnsinniger umher z ujagen. Falgon hingegen zeigte nicht die geringsten Anzeichen von Müdigkeit, so als bestünde er nur aus Muskeln, die sich vom Laufen ernährten. Gäbe es da nicht die Gefahren des Waldes, die ihn zu einer gewissen Vorsicht zwangen, hätte ihn vermutlich sogar ein Pferd nicht abhängen können. Ergil musste umso mehr darauf achten, sich nicht durch einen Tritt auf trockene Zweige oder das Rascheln von Laub zu verraten. Er kannte die scharfen Sinne seines Ziehvaters nur allzu gut. Mehr als einmal hatte Falgon sich einen Spaß daraus gemacht, seinen im Wald umherstreifenden Zögling durch plötzliche Überfälle zu erschrecken. »Das sollte dir eine Lektion sein«, pflegte er bei solchen Gelegenheiten grinsend zu sagen. Die Lektionen hatten sich offenbar gelohnt.
    Um die Mittagszeit fand die Hatz ein vorläufiges Ende. Falgon wurde mit einem Mal langsamer, bis er nur mehr schlich.
    Seinem Beispiel folgend, verlegte sich auch Ergil aufs Pirschen. Der Waldläufer erreichte den Rand einer größeren Lichtung, die er ausgiebig auskundschaftete, bevor er den Schutz der Bäume verließ. Vorsichtig wie eine Katze schlich Ergil hinterher.
    Die Sonne verteilte ihr gleißendes Licht verschwenderisch über das hohe Gras und die bunten Blumen, die zwischen den umstehenden Stämmen auf einer Schnei s e von der Länge eines Bogenschusses und der Breite eines Steinwurfes wuchsen. Insekten sammelten summend Nektar und der Wind rauschte in den Baumwipfeln. Falgon blieb bei einem umgestürzten, schon ziemlich verwitterten Stamm stehen, der vermutlich bereits vor Jahren vom Waldrand in die freie Fläche gekippt war. Ruhig schnallte sich der Alte den Schwertgürtel ab und lehnte die Waffe an den Stamm. Den Bogen behielt er in der linken Hand. Er legte sogar einen Pfeil auf die Sehne. Ergil wagte kaum zu atmen. Er wollte nicht mit einem Fasan verwechselt werden.
    Die Zeit schlich im Schneckentempo dahin. Es mochte eine Stunde vergangen sein, als der Junge in seinem Versteck ein leises Stampfen hörte. Er legte das Ohr auf den Waldboden. Richtig! Da näherte sich ein g r oßes Tier, eines, das er nie zuvor gesehen hatte. Und trotzdem glaubte er zu wissen, was ihn erwartete.
    Es dauerte nicht lang und am Nordende der Lichtung begannen Äste zu rascheln. Einige trockene Zweige knackten. Dann brach der Reiter durch die Büsche. Er saß auf einem riesigen, rotbraunen Pferd mit einem hellen Schweif und trug einen Haufen Metall am Körper. Ergil kannte Pferde nur aus Falgons »Bilderbuch«. Dementsprechend galt sein Hauptinteresse dem Tier. Der Reiter wurde erst danach bestaunt. Er sah r eichlich verwildert aus, so als habe er eine lange und anstrengende Reise hinter sich, die ihm kaum
    Gelegenheit geboten hatte, sich oder seine Ausrüstung zu pflegen. Er trug einen nur noch matt glänzenden, etwas verbeulten Brustpanzer, ein Kettenhemd, Beinschienen und ein großes Schwert, das viel länger war als Falgons kurze, aber auch deutlich breitere Waffe.
    Der weißhaarige Waldläufer hatte den Bogen mit dem aufgelegten Pfeil gesenkt, nachdem der andere auf die Lichtung herausgeritten war. Jetzt hob er die Hand zum Gruß und der Geharnischte erwiderte die Geste. Der mit schwarzen Drachenflügeln geschmückte Helm des Fremden hing am Sattel, als wolle er jedem seine schulterlangen blonden, mehr strähnigen als lockigen Haare zeigen. Er hätte es lieber lassen oder sie wenigstens waschen sollen, dachte Ergil. Der Reiter strahlte über das ganze Gesicht, das bis auf eine breite Narbe am kantigen, stoppeligen Kinn durchaus ansehnlich war.
    Das Herz des Jungen begann heftig zu klopfen. War das der Andere? Sah er endli c h den Unbekannten, der jeder Begegnung mit ihm aus dem Weg ging? Warum trafen sich die zwei überhaupt hier auf dieser Lichtung, so fern von der Waldhütte? In der Vergangenheit hatte sich der Fremde doch nie gescheut von Ergils Teller zu essen und sogar in seinem Bett zu schlafen. Der Junge spitzte die Ohren.
    »Triga! Möge deine Hoffnung nie sinken und sei mir willkommen, mein Freund«, rief Falgon den traditionellen miradischen Gruß, bevor der Reiter ihn ganz erreicht hatte.
    »Möge die deine zur Sonne deines L ebens werden«, erwiderte der Angesprochene nach altem Brauch. Er zügelte sein Pferd und sprang behände aus dem Sattel. »Falgon, du alte Drachenhaut. Wie ist es dir

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