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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gerodeten Vorplatz ungehindert in den Großen Alten sehen konnte. Die Nacht senkte sich gerade über den Wald. »Es war eine Henne. Sie wollte nur ihre Brut beschützen«, verteidigte er mehr den Vogel als sich.
    »Ja, eben. Die Riesenglucke hätte dich zerfleischen können. Außerdem sind die Tiere im Wald unberechenbar geworden. Habe ich dir nicht hundertmal gesagt…?«
    »Hätte ich etwa die Elvin sterben lassen sollen?«
    Fa l gons Mund blieb offen stehen. Weniger die Unterbrechung durch den trotzig aufbegehrenden Knaben verblüffte ihn als vielmehr die Erwähnung jenes neuen Aspektes, den Ergil in seinem Rapport bisher ausgespart hatte. Jetzt war es heraus und der junge Abenteur e r konnte nicht umhin, die ganze Geschichte zu erzählen.
    Tiefsinnige Unterhaltungen lagen dem alten Mann nicht besonders, aber dieser Abend zählte zu den Ausnahmen, die der Junge immer ganz besonders genoss. Wenn der Fallensteller erst einmal aufgetaut war, dann wurde er zum weisesten Menschen von ganz Mirad, so jedenfalls kam es seinem Zögling vor. Nachdem das Abenteuer in allen Einzelheiten geschildert war, gab es keine Schelte mehr. Ergil, der sich in den letzten Jahren eher durch übergroße Vorsicht hervorgetan hatte, wurde sogar für seinen Mut gelobt.
    »Oheim?«, wagte er, von der Anerkennung angespornt, einen weiteren Vorstoß ins Reich der Geheimnisse.
    »Ja?«
    »Als ich dem Tarpun gegenüberstand, da… Ich hatte das Gefühl, mit ihm verbunden zu sein. Ich konnte sogar fühlen, wie der Wind durch sein Gefieder streicht. Und kurz zuvor hatte ich sein Gelege in einer Baumkrone entdeckt. Das war kein Zufall. Ich kann es nicht genau beschreiben. Mir war, als wüsste ich genau, wo er sein Nest gebaut hat. Wie ist das alles möglich?«
    Falgons Miene, ohnehin durch den Vollbart schwer zu deuten, ließ nicht die geringste Regung erkennen. Ein Luftzug brachte die Kerzenflamme zum Flackern. »Manche sehen auch ohne Augen und sie hören ohne Ohren, mein Junge.«
    Ergi l nickte . »Ic h g l aube, ich verstehe, was du meinst. Aber nicht, wie so etwas gelingen soll. Ich kann fühlen, sehen, hören, riechen und schmecken – das alles leuchtet mir ein. Doch was da heute geschehen ist…« Er schüttelte ratlos den Kopf.
    »Beantworte mir eine Frage: Bist du jemals kurz vor Sonnenaufgang erwacht und in den Wald hinausgegangen, um den neuen Tag willkommen zu heißen?«
    »Du weißt, dass ich das ständig tue, Oheim.«
    »Dann sage mir, wie du fühlen, sehen, hören, riechen oder schmecken kannst, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufwachen gekommen ist.«
    Ergil hob die Schultern. »Ich kann es nicht erklären. Da ist irgendetwas in mir…« Er breitete die Hände aus, fand aber nicht die richtigen Worte.
    »Siehst du! Es gibt also noch mehr als das, was dir Tastsinn, Augen, Ohren, Nase und Gaumen verraten. Wenn du ein Teil von etwas bist, dann wohnst du ihm inne, bist mit ihm vertraut wie mit deinem eigenen Leib, der dir verrät, wann der neue Ta g beginnt.«
    »Da s is t mi r z u hoch.«
    »Dann denke darüber nach, mein Lieber. Ich kann dir vielleicht die grobe Richtung zeigen, aber deinen Weg musst du schon selber gehen.«
    Unwillkürlich erinnerte sich Ergil an die Äußerung der Elvenprinzessin. Das wäre ein schlechter Dank, mein tapferer Retter, wenn ich dich deiner Zukunft berauben würde. Er spürte, dass die Worte der beiden zusammen einen Sinn ergabe n – aber warum mussten sich die Erwachsenen nur immer so kompliziert ausdrücken!
     
    Der silberne Dorn war in Wirklichkeit gar nicht aus Silber, sondern aus Satim, einem äußerst seltenen Metall, kostbarer als Gold. Falgon hatte behauptet, das erstaunlich leichte Material sei härter als Diamant und zugleich elastischer als die Fäden der Brockenspinne.
    Angeblich gewannen die Elven das Satim aus der Luft, genauer gesagt, aus feinen Schwebstoffen, die nur bei Sternenlicht durch ein silbriges Glitzern auf sich aufmerksam machten. Kein Gelehrter habe freilich je den Nachweis erbracht, ob diese Legende einen wahren Kern besitze. Doch nun trug Ergil ein Satimschwert um den Hals.
    Nach einer ausgedehnten Nachtruhe, noch vor dem Frühstück, hatte er vom Bett aus seinen Ziehvater vor jener bestimmten Truhe kniend entdeckt, in der Falgon seine Schätze hütete. Eine Weile kramte der Waldläufer in dem Kasten herum und förderte schließlich eine Schatulle zutage. Sie bestand aus einem glitzernden, nachtblauen Material, dessen Beschaffenheit an polierten Edelstein denken ließ. In

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