Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
dem mit rotem Samt ausgeschlagenen Behältnis lagen einige fremdartig schöne Schmuckstücke: Ringe, Broschen, Spangen, Haarnadeln und eine Kette.
» D ieser Schmuck ist ein Werk der geschicktesten Sirilimmeister«, erklärte Falgon, nachdem er zum Bett des Jungen herübergekommen war. Seine Stimme zitterte, als er fortfuhr: »Diese haarfeine Halskette hier ist ebenfalls aus Satim und hat einmal deiner Mutter gehört. Deine mutige Tat gestern zeigt mir, dass du allmählich zu dir findest. Vanias Kette könnte dir auf diesem Weg hilfreich sein. Fädel sie einfach durch die Öse am Griff des Elvenschwerts, dann kannst du es immer bei dir tragen.«
Ergils Herz pochte heftig. Ihm wurde schwindlig. »Vania?«, hauchte er. »Ist das… ihr Name?«
Falgon nickte ernst.
»Du weißt, wie meine Mutter heißt, und hast es mir nie gesagt ? Waru m nicht?«
»Weil ich dich schützen wollte.«
»Wovor?«
»Die Zeit ist noch nicht gekommen, darüber z u sprechen, Ergil. Fürs Erste solltest du dich mit der Kette zufrieden geben.«
»Sehe ich meiner Mutter ähnlich?«
»Eher deinem Großvater. Du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Und mein Vater? Was ist mit ihm? Verrate mir wenigstens seinen Namen, Oheim…«
»Nicht heute, Ergil.«
Da war wieder dieser unnachgiebige Ton, der dem Jungen deutlicher als jedes Wort sagte, dass Falgon sich eher die Zunge abbeißen würde, als die Geheimnisse der Vergangenheit preiszugeben. Ergil drang nicht weiter in ihn. Er hatte mehr geschenkt bekommen, als er erwarten durfte: nicht allein das Schmuckstück seiner Mutter, sondern vor allem ihren Namen. Vania!
Still fädelte Ergil den silbernen Dorn auf die Kette, deren feine Glieder das bloße Auge kaum auszumachen vermochte. Auch der Verschluss war so filigran, dass Falgons kräftige Finger daran versagten; der Junge musste sich die Kette selbst anlegen.
Wenig später kauten die beiden schweigend auf dem Schinken herum, den Falgon von einem Tapir geräuchert hatte. Dazu gab es Wasser aus dem nahen Bach und Brot, das manchmal Falgon, manchmal Ergil buk. Es war sogar noch ein Rest Blaubeerkuchen übrig, den der Ziehvater zu besonderen Anlässen genehmigte. Das Mehl stammte aus Fungor, einer kleinen Stadt am Rande des Waldes, die zum König r eich Pandorien gehörte. Neuerdings verließ Falgon hin und wieder den Großen Alten für einige Tage, um auf dem Markt einzukaufen, wie er sagte. Den Jungen nahm er trotz dessen Bitten nie mit.
»Ich will versuchen noch etwas für unsere Räucherkammer zu erlegen. Nimm doch den zweiten Bogen, den ich für dich gemacht habe, und komm mit«, sagte der Waldläufer wie nebenher, während er sich ein weiteres Stück Schinken abschnitt.
Die Finger des Jungen spielten mit der neuen Halskette und dem ungewöhnlichen Anhänger, während er gedankenverloren zum Fenster hinausblickte. Er hatte die Geheimniskrämerei seines Ziehvaters noch nicht ganz verwunden. Jetzt allerdings horchte er auf. Falgon wusste ganz genau, dass Ergil weder den Fallen noch irgendwelchen Waffen etwas abgewinnen konnte. Und trotzdem lud er ihn zur Jagd ein. Warum?
Weil er weiß, dass ich ablehnen werde. Weil er heimlich irgendetwas tun will, ohne meinen Verdacht zu erregen.
Der Gedanke dröhnte in Ergils Kopf wie ein Hammer auf einem Amboss. Sein Blick lag noch auf den Bäumen jenseits des Fensters. Scheinbar gleichgültig erwiderte er: »Geh nur.
Ich streife lieber ein bisschen allein durch den Wald. Vielleicht sehe ich noch einmal die Elvenprinzessin.«
»Ist gut. Sei vorsichtig, hörst du?« Ergi l seufzte . »Ja , Ohe i m.«
»Ich bin spätestens bis Sonnenuntergang zurück.«
»Vie l Glück.«
»Wie?«
»Be i de r Jagd.«
»Ach so, ja. Danke.«
Bald verließ Falgon mit Breitschwert und Langbogen das Haus. Von den Fallen nahm er keine mit. Auf die Frage, wozu er bei der Jagd Biberschwanz brauche (so pflegte er sein kurzes Lieblingsschwert zu nennen), brummte er, man könne ja nie wissen.
Sobald er zwischen den Bäumen verschwunden war, nahm Ergil die Verfolgung auf.
4
DE R GEHARNISCHT E VAGABUND
Man konnte Falgon leicht unterschätzen. Se i ne weißen Haare ließen ihn älter erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Und seine gedrungene Statur täuschte eine Plumpheit vor, die es nicht gab. Niemals hatte Ergil das so deutlich begriffen wie an diesem Tag.
Jetzt lief er wohl schon an die zwei Stunden hinter seinem Ziehvater her. Er sehnte sich nach einer Rast und wunderte sich überhaupt, dass
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