Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
sagen, dass dir wenigstens das entgange n ist.«
»Bis t d u berühmt , Oheim?«
»Ruhm ist wie eine Sanddüne am Meer – er wird schnell vom Wind der Zeit davongetragen.«
»Bedeute t das : Ja?«
» M ehr hast du nicht aufgeschnappt?«
»Hm«, machte Ergil abermals und verschränkte die Arme über der Brust. Es ärgerte ihn, dass er von Falgon wie ein kleines Kind behandelt wurde, das von irgendeiner so genannten »Wahrheit« zu Tode erschreckt werden konnte.
» Herau s mi t de r Sprache!«
»Ihr habt von einem mächtigen Feind geredet. Wer ist das?«
»Jemand, der nicht will, dass junge Burschen wie du erwachsen werden.«
»Aber ich habe ihm doch gar nichts getan – ode r etw a doch?«
»Du bist ein sechsjähriger Dreikäsehoch g ewesen, als ich dich hierher brachte. Wie hättest du jemandem etwas zu Leide tun können, der damals schon groß und stark war?«
»Ich glaube, das hatte ich eben dich gefragt.«
Falgon stöhnte. »Allmählich bist du zu schlau für Wortspielereien, was? Aber nicht klug genug, um von einem alten Kauz wie mir aufs Kreuz gelegt zu werden. Und bis das sich ändert, wird nach meiner Pfeife getanzt, hörst du?«
Ergil nickte, fügte aber nach kurzem Zögern trotzig hinzu:
»Er ist nicht derjenige, der in meinem Bett geschlafen hat, oder?«
»Wer?«
»De r Ritter.«
»Nein. Er weiß nicht mal, wo unsere Hütte ist.«
»Aber er würde es gerne wissen.«
»Das ist dir folglich auch aufgefallen. Und du willst nicht gelausch t haben?«
»Du gibst also zu, dass dich jemand in der Hütte besucht und sich an meinen Sachen vergreift, wenn ich nicht zu Hause bin?«
»Gar nichts gebe ich zu. Willst du jetzt etwa mich aushorchen?«
»Wen gibt es da noch, Oheim? Wir zwei sind doch nicht die einzigen Menschen hier im Wald. Das lasse ich mir nicht länger einreden.«
Der Alte funkelte den Jungen aus seinen wasserblauen Augen lange an, bevor er antwortete: »Wenn ich sagte: ›Doch, außer uns ist niemand hier‹, dann wäre das nicht mal gelogen.«
Ergil blinzelte. »Verstehe ich nicht.«
»Mehr darf ich dir nicht sagen. Aber du kannst es gerne als kleine Hilfestellung betrachten. Früher oder später wird dir schon aufgehen, wie ich es gemeint habe.«
»Waru m nich t jetzt?«
»Weil der Tag noch nicht gekommen ist, mein Junge.«
5
EINE WUNDERSAM E BEGEGNUNG
Der Pfeil zischte zwischen den Bäumen hindurch, durchlöcherte eine Wand aus Blättern und traf genau ins Herz des Fasans. Der Vogel war schon tot, bevor er die Gefahr überhaupt bemerkt hatte.
Rasche Schritte näherten sich fast lautlos der Beute. Sehnige Arme drückten die Zweige au s einander, um sichtbar zu machen, was zuvor nur gefühlt worden war. Twikus lächelte.
»Sei nicht traurig, armer Vogel. Du wirst Falgon glücklich machen.«
Er wusste selbst nicht, warum ihn jedes Mal das Bedürfnis überkam, sich bei seiner Jagdbeute zu entschuldigen. Vielleicht hing es mit seinen lebhaften Träumen zusammen, die ihm bisweilen gar nicht behagten. Da schlüpfte er in die Haut irgend so eines Schwächlings, der sich nur mit Worten zu wehren wusste, keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte und stundenl a ng mit den Tieren sprach. Grauenvoll! Nicht, dass Twikus Freude am Töten hatte, aber die Gesetze des Wald erlaubten die Jagd zum Erhalt des eigenen Lebens. Hätte De r - der- tut - wa s - ihm - gefällt etwas dagegen, dann gäbe es in seiner Schöpfung kaum Greife, Grot a ns oder andere Fleischfresser. So gesehen, sagte sich Twikus, brauchte er wohl kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er gerne mit Pfeil und Bogen loszog. Er war mit sechzehn schon ein besserer Bogenschütze als Falgon.
Und trotzdem verspürte er beim Anblick des toten Fasans wieder diese rätselhafte Schwermut. In letzter Zeit wurde es
immer schlimmer. Nachdenklich trat Twikus mit seiner Beute den Heimweg an. Die Sonne zauberte ein gleißendes Gefunkel ins Blätterdach, wenn der Wind die Wipfel sanft bewegte. Um den jungen Waldläufer herum zwitscherte, summte und schwirrte es. Der Große Alte war verschwenderisch im Hervorbringen von Leben.
Nur Menschen gab es wenige hier. Obwohl Falgon seinem Zögling stets ein väterlicher Freund und weiser Lehrmeister gewesen w ar, wünschte sich Twikus, eines nicht allzu fernen Tages in die Welt hinauszuziehen, um mit eigenen Augen zu sehen, was er nur aus Erzählungen und Falgons wenigen Büchern kannte. So etwa die Ritter, die ihre Kräfte im Wettstreit miteinander maßen. Manchma l ,
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