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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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anders zu sein, nur nicht hier, in dieser lichtlosen Klippe.
    Bevor sie über den steinigen Strand geklettert waren, hatte er an einem kleinen windgeschützten Hang gesehen, dass die ersten Frühlingsboten ihre Köpfchen aus dem Schnee streckten: sonnengelbe Krokusse. Wie schön wäre es doch, hier, auf seiner Heimatinsel, durch den Wald zu streifen und das aufkeimende Leben zu begrüßen. Stattdessen irrte er durch einen versteinerten Riesenschwamm. Er spürte auch ohne Bemühung seines sechsten Sinnes, wie das Böse seine klammen Klauen nach ihm ausstreckte. Vermutlich war dies nur Einbildung, weil er wusste, wem er am Ende seines Marsches gegenübertreten musste.   
    Allmählich veränderte sich das Bild der Höhlen. Die Wände wurden glatter und schimmerten im Fackellicht in allen möglichen Farben. Múria unterbrach einmal ihren Gesang, um ihren Schüler darauf aufmerksam zu machen. Der Berg bestehe, abgesehen von s e iner äußeren Kruste, aus Aragonit, einem Mineral, das auch in den Schalen vieler Tiere enthalten sei.
    Bald werde Ergil Wunder sehen, von denen er sich nicht ablenken lassen solle. Es dauerte nicht lang, bis er ihre Worte verstand.
    Unvermittelt traten sie i n einen größeren Höhlenraum, dessen Decke mit riesigen Eiszapfen übersät zu sein schien. Aber auch vom Boden stiegen die schlanken, feucht glitzernden Säulen auf.
    »Das ist wunderschön!«, flüsterte Ergil ergriffen.
    Múria unterbrach abermals ihren Tarngesan g . »Wie geht’s deine m Sinnesapparat?«
    Er stutzte. »Wie bitte?«
    »Könntest du deine Gabe bemühen, um die Höhlen über uns z u durchdringen?«
    »Ich weiß nicht.« Ergil schloss die Augen. Nisrah?
    Hier bin ich, erscholl ein wenig müde, aber prompt die  Antwort in se i nem Geist. Hilf mir bitte.
    Was möglich ist, das tue ich, was ich nicht kann, das lass ich bleiben.
    Und wie lernt man das eine vom anderen zu unterscheiden?
    Indem man Erfahrungen sammelt.
    Du bist mir wirklich eine große Unterstützung. Hättest auch einfach s agen können: Ich tu mein Bestes.
    Aber das hob ich doch.
    Drück dich beim nächsten Mal ein bisschen klarer aus. Trotzdem danke!   
    Stets zu Diensten.
    Ergil stieß die Luft durch die Nase aus und versuchte seinen sechsten Sinn in die oberen Gänge wandern zu lass e n. Vor seinem inneren Auge glomm schwach ein grünes, sich nach allen Seiten ausbreitendes Geflecht mit einem undurchdringlichen schwarzen Kern. Als er versuchte trotzdem in dieses dunkle Zentrum vorzustoßen, löste es sich für einen Augenblick in drei lich t lose Wolkensäulen auf. Eine eisige Kälte breitete sich in ihm aus und er spürte jäh die enorme Anstrengung, die ihm diese an sich lächerliche Übung abverlangte. Unwillkürlich hallten Múrias Worte aus seiner Erinnerung herauf. Wenn du zu viel von dir verla n gst, könntest du von einem Moment zum nächsten tot umfallen. Erschrocken zog er seinen Geist zurück, das Abbild der Schemen verblasste und verschwand schließlich ganz. Er schüttelte den Kopf.
    »Was ist?«, fragte Múria.
    »Ich bin noch nicht so weit.«
    »Hast du etwas gesehen?«
    »Mir ist schwarz vor Augen geworden.«
    Sie nickte. »Hätte mich auch gewundert, wenn’s anders wäre. Dann muss ich eben noch ein bisschen weitersingen. Versuche in der Zwischenzeit wenigstens Augen und Ohren offen zu halten – aber nicht, um die Stalaktiten zu bewundern.«
    »Di e was?«
    Sie seufzte und deutete zur bizarren Decke nach oben. »Die  Tropfsteinzapfen dort.« Er nickte.
    Bald betraten sie einen weiteren Tunnel, dessen abgerundete Wände Ergil irgendwie an den Schlund eines Ungeheuers denken ließen. Múria wechselte oft die Richtung, aber stetig ging es bergauf, manchmal über Rampen, dann wieder über kleinere Absätze, die man nur kletternd überwinden konnte. Je höher sie dabei kamen, desto stärker wurde in Ergil das  Gefühl, sich etwas Dunklem, Kaltem zu nähern. Er konnte nicht verhindern, immer wieder an den Alptraum von der schwarzen Lohe zu denken.
    »Pass auf!«, sprach Múria zwischen zwei Tonfolgen hinein. Ergil wusste zunächst nicht, was sie meinte, weil sie ihm die  Sicht nach vorne versperrt e , bis er vor dem Skelett stand. Vor  Schreck stieß er einen kleinen Schrei aus.
    »Ich habe doch gesagt, du sollst aufpassen«, beschwerte sich  Múria leise.
    Entsetzt blickte der Prinz auf das Gerippe. Es trug eine Rüstung aus Stahlbändern und ledernen Verbind u ngsteilen. In seiner Nähe lagen ein Speer und ein Langschwert am

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