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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zu einer Stelle, wo die Klippen ein wildes Durcheinander aus Furchen, Vorsprüngen, Auswaschungen und Felsnasen bildeten. Sogleich setzte sie ihren Tarngesang fort.
    Ergil staunte, wie leicht ihm das Klettern fiel. Múrias Trank hatte tatsächlich Wunder gewirkt. Nur sein Geist war noch nicht richtig klar; er fühlte sich an, als wäre er in weiche Daunen eingepackt. Sogar die kalte Bedrohung, die er während der Überquerung der Meerenge gespürt hatte, war nur noch ein dumpfes, unbestimmtes Gefühl.
    »Hinter dem Felsen dort müsste der Eingang liegen«, raunte Múria, als sie das schroffe Steinensemble erreicht hatten. Sie deutete auf eine Säule, die mindestens dreißig Fuß hoch aufragte.
    Ergils Hand wanderte zu Himmelsfeuers Blütengriff, der wie eine ausgefallene Gürtelschließe wieder unterhalb seines Bauches hing.
    »Spare deine Kräfte. Die Wächter werden uns hier nicht erwarten«, sagte Múria.
    Die Steinsäule war so groß, dass ein Dutzend Männer nötig gewesen wären, sie zu umfassen. Vom Meer aus uneinsehbar lag dahinter der Einlass zu den Höhlen. Eigentlich war es nur ein niedriges Loch mit einem gezackten Rand. Man musste auf alle viere gehen, um hindurchzukriechen. Nichts deutete darauf hin, dass hier der geheime Zugang zu Mirads Machtzentrum lag, zu einer Festung, die als uneinnehmbar galt, bis sie von Wikander erobert worden war.
    Múria hatte erzählt, der Klippenberg und mit ihm die ganze Insel sei vor Urzeiten, als der Gott Magon Rache an den Bewohnern Seltensunds nahm, aus glühendem Gestein entstanden. Beim Abkühlen hätten sich Luftblasen gebildet.   
    Diese teilweise miteinander verbundenen Hohlräume seien mindestens so zahlreich und unübersichtlich wie die Gänge und Kammern in einem Termitenbau.
    »Gib mir deinen Bogen«, sagte Múria, während sie in die  Höhle kroch und Ergil ihr folgte.
    »Der gehört Twikus«, brummte der Prinz. »Du kennst ihn ja: Er lässt es sich nicht ausreden, seine Lieblingswaffe überall hin mitzunehmen.« Hinter dem tunnelartigen Zugang konnte er sich wieder zu voller Größe aufrichten. »Ziemlich finster hier.«
    »Was hast du gedacht? Eine Festbeleuchtung? Warte einen  Moment.«
    Sie stimmte ein leises Summen an, dieselbe Melodie, die sie draußen gesungen hatte. Er hörte, wie sich ihre Schritte entfernten. Aus dem Dunkel drang Gerumpel – eine ganze Wagenladung Steine schien auf den Boden zu poltern –, gefolgt von Stille.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Ergil besorgt.
    Anstatt zu antworten, schlug die Herrin der S eeigelwarte Funken. Kurz darauf erhellte eine rasch größer werdende Flamme den Höhlenraum. Der leise Gesang setzte wieder ein. Múria stand vor einer Nische, die offenbar als Versteck für ein halbes Dutzend Fackeln gedient hatte. Zu ihren Füßen lagen die Überreste des Sichtschutzes, den sie gerade so geräuschvoll eingerissen hatte: schwarze Felsbrocken, die wie versteinerte Schwämme aussahen.
    Ergil betrachtete die nähere Umgebung. Sie befanden sich in einer annähernd ovalen Kammer, etwa fünfzehn Fuß lang, z e hn breit und acht hoch, deren unbehauene Wände ebenso porig waren wie die »Schwämme«, neben denen Múria gerade das Bündel Fackeln zusammenraffte. Mit ihrer Beute kehrte sie zu Ergil zurück.
    »Hier, nimm«, sagte sie und reichte ihm den brennenden  Stab. Alle anderen behielt sie für sich. Nachdem sie Feuerstein  und Eisen wieder in ihrem Kräuterbeutel verstaut und sich diesen über die Schulter geworfen hatte, deutete sie zum dunklen Ende der Kammer und fing wieder an zu singen.
    Je länger sie in der Klippe emporstiegen, desto mulmiger wurde Ergil. Wie schon die porösen Gesteinsbrocken, die den Fackelvorrat verborgen hatten, glich der ganze Fels einem riesigen, versteinerten Schwamm, nur um vieles größer. Überall zweigten Nebengänge ab, manche waren schon im Facke l licht als Sackgassen zu erkennen, weil sie nach wenigen Schritten vor einer Felswand endeten, und der Prinz zweifelte keinen Moment daran, dass auch die längeren Röhren zum Großteil Tunnel ohne Ausgang waren. Wenigstens hatte Múrias hervorragendes Gedächtnis etwas Beruhigendes. Selten blieb sie an einem Abzweig stehen, um zwischen rechts und links zu wählen. Aber – und daran ließ ihn dieser Irrgarten aus Vulkangestein unaufhörlich denken –, wie sollten sie sich später im Palastlabyrinth zurechtfinden? Wikander hatte es erbaut, nachdem die Amme der Prinzen aus der Sooderburg geflohen war.
    Ergil wünschte sich, irgendwo

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