Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
er zu spüren, wie sich die Furcht in ihm ausbreitete, eine eiskalte Flüssigkeit, die sein vor Sorge pochendes Herz in heftigen Schüben durch die Adern pumpte.
»Ergib dich uns und du bleibst am Leben«, forderte kühl der Mann im grauen Gewand.
»SONST MÜSSEN DIE WÄCHTER DICH ABWEISEN«, deklamierte der Chor.
Bange blickte Ergil auf seine Hände. Noch war die Haut nicht steingrau wie bei den Freunden…
Vielleicht wirkt ihr Gift bei uns weniger schnell. Der Gedanke war wie ein Donner, der ihn innerlich aufrüttelte.
Rede nicht in Rätseln, beschwerte sich Twikus.
Wikander wollte uns schon einmal töten und unser Sirilimblut hat seinen Plan vereitelt.
Aber ungeschoren sind wir trotzdem nicht davongekommen. Wir müssen schnell handeln, Ergil!
Und das tat er. Während er noch über Múria gebeugt war, verbarg er mit dem Oberkörper die Gürtelschließe vor den Blicken der Wächter. Rasch öffnete er die Schlaufe. Dann erhob er sich und entrollte in einer fließenden Bewegung die gläserne Klinge. Viel Zeit zum Sammeln seiner Konzentration blieb ihm nicht. Sein Geist rief die Macht des Schwertes. Aber es antwortete nicht.
Zijjajim blieb schlaff wie ein Gürtel, glimmte nicht einmal.
»Wo die Furcht ihre Schatten wirft, kann das Licht nicht gut gedeihen«, sagte das kleine Mädchen spöttisch.
Ergil schüttelte das Heft des Schwertes, als würde darin irgendein Mechanismus klemmen, der sich leicht wieder lösen ließ, aber vergeblich. Die Wächter mochten ihn mit ihrem Gift zwar nicht direkt lähmen können, aber Olam hatte R echt gehabt: Sie schöpften ihre Stärke aus der Furcht, die sie den anderen und nun auch ihm eingeflößt hatten. Irgendwie schafften sie es mit dieser Macht sogar, Zijjajims Lich t zu blockieren.
Am besten, du lässt mich ans Ruder, sagte Twikus.
Ergil schlang sich wieder den gläsernen Gürtel um – er wollte ihn auf keinen Fall den Wächtern in die Hände fallen lassen – und antwortete: Was hast du vor?
Kämpfen.
Und wie nennst du das, was ich eben versucht habe?
Nichts für ungut, Bruderherz, aber Waffen waren noch nie dein Ding.
Na schön. Aber wir müssen besonnen handeln, hörst du?
Schon gut. Lass mich nur machen.
Als Ergil und Twikus die Plätze tauschten, durchlief ein Schauer ihren Körper. Vielleicht wussten die Wächter nicht, was da mit ihrem Gegenüber geschah, aber sie schienen es als Gegenwehr zu deuten.
Die Greisin keifte: »Wir warnen dich ein letztes Mal! Strecke deine Waffen und liefere dich uns aus…«
Und der Chor sprach: »… SONST WERDEN DIE WÄCHTER DICH FÜR IMMER ABWEISEN.«
In Windeseile nahm Twikus den Bo g en von der Schulter, riss einen Pfeil aus dem Köcher und schoss ihn dem Mann mitten durchs Herz.
Der Getroffene blieb ungerührt stehen. Irgendwo prallte der Pfeil von einem Tropfstein ab und fiel zu Boden.
»JETZT WERDEN DIE WÄCHTER DICH FÜR IMMER ABWEISEN « , drohten die drei. Gleichzeitig hoben sie ihre Arme über die Köpfe.
Ich hatte befürchtet, dass du so etwas tun würdest, stöhnte Ergils Gedankenstimme.
Der Kerl muss aus Luft sein. Ich fass es nicht!, keuchte Twikus. Olam war doch überzeugt, dass wir die W ächter besiegen können.
Ja, aber von Pfeilen und Schwertern hat er nichts erwähnt. Er sprach von Furcht und hat gesagt, sie wohne jedem inne, der etwas zu verlieren habe.
Was genau meinte er damit?
Ich kann nicht glauben, dass du mich das fragst, Twikus. S ieh dir doch Inimai, den Oheim und Dormund an. Sie sind es, die wir verlieren werden, wenn uns nicht schnell etwas einfällt.
Aus den Kehlen der Wächter kam ein tiefes Summen.
»Meine Zehen werden so kalt.« Ohne es zu merken, hatte Twikus geflüstert, anstatt seine Empfindungen für sich zu behalten. Er zog einen weiteren Pfeil aus dem Köcher und schoss ihn auf die Alte. Die Wirkung war die gleiche wie zuvor bei dem Mann.
Das Gebrumm der Wächter wurde lauter.
Entsetzt sah Twikus, wie seine Haut von den Fingerspitzen ausgehend grau wurde. Schnell hatte sich die ganze Hand verfärbt.
Beim Allmächtigen, Ergil, jetzt sind wir dran! Was wollte uns Olam sagen? Denke nach!
Du machst mir Spaß. Die Wächter verwandeln uns in kalten
Stein und du verlangst von mir …
Hör auf, dich zu beklagen! Ich glaube, ich kann meine Arme nicht mehr bewegen. Was wollte uns Olam mitteilen? Sollten wir allem entsagen, um uns von der Angst frei zu machen?
Dafür wäre es ohnehin zu spät, erwiderte Ergil müde. Er schien sich bereits in sein Schicksal
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