Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
sein, wenn das nicht mein Biberschwanz ist!«, dröhnte die tiefe Stimme des Schmieds durch die Gasse. »Seid Ihr das, der rechtmäßige Besitzer meines kleinen Lieblings?«
»Wer sonst, Meister Dormund? Möge Eure Hoffnung nie sinken. Und ich habe noch einen jungen Freund mitgebracht«, gab Falgon aus dem Schatten zurück. Er trat einen Schritt vor, um sich zu zeigen.
»Ihr habt Euch eine finstere Zeit für Euren Besuch ausgewählt.«
»Soll das heißen, wir müssen die Nacht hier draußen in der
Gass e verbringen?«
»Wollt Ihr mich beleidigen? Natürlich nicht. Ich sperre sofort da s To r auf.«
Die Luke wurde zugeworfen und ein Riegel zur Seite geschoben. Das Schloss quietschte, als der Schlüssel sich darin umdrehte. Sodann öffnete sich der rechte Flügel des Portals.
Dormund hielt eine Öllampe in der Hand. Jetzt, wo das Licht gleichmäßiger auf sein flaches, eher gutmütiges Antlitz fiel, sah es nicht mehr wie eine Furcht erregende Fratze aus. Er hielt das tönerne Gefäß in der Linken, hoch genug, um Ergil einen ersten Eindruck von dem Mann zu verschaffen, der Falgons Vertrauen genoss. Der breitschultrige Schmied war einen halben Kopf größer als der Waldläufer. Seine nackten Füße steckten wie vermutet in hölzernen Schuhen, die Beine in einer dreiviertellangen, glatt gewetzten Lederhose, auf der sich allerlei Brandflecken befanden. Ein helles, nicht mehr ganz sauberes Hemd aus Leinen bedeckte Dormunds gewaltigen Oberkörper. Aus dem fast bis zur Brustmitte reichenden Halsausschnitt quoll ein Büschel grauen Haars. Die Ärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, wodurch Ergil die muskulösen Unterarme des etwa fünfundvierzigjährigen Mannes sehen konnte. Der Schmied roch nach frischem Schweiß. Anscheinend hatte er noch gearbeitet. Sein kugelrundes Haupt war kahl geschoren, nur ein dünner heller Flaum bedeckte die sich im La m penschein spiegelnde Glatze.
Dormund wies seine Gäste mit einer kurzfingrigen, wie geschwollen wirkenden Hand ins Innere des Hofes. »Kommt schnell herein.« Obwohl er sich Mühe gab, leise zu sprechen, hallte seine tiefe, vibrierende Stimme von den Wänden der Gasse wider.
Allzu gerne kam Ergil der Aufforderung nach. Während er Feuerwind hinter dem Rappen durch das Tor führte, beäugte ihn der Schmied aus seinen blauen Augen, in denen sich unausgesprochene Fragen spiegelten. Ahnte der Hausherr, wer da gerade s e inen Hof betrat?
Die Hufe der Pferde klapperten über das Steinpflaster. Der Schmied ging mit seinem Licht voraus. Nach einigen Schritten wandte er sich nach links und führte die Besucher durch ein anderes hohes Tor in einen Stall, der vier Pferden Platz bo t . Im ersten der Verschläge stand ein kräftiger Brauner, dessen Mähne und Schweif im schwachen Lampenschein gelblich weiß schimmerten.
Der Schmied deutete mit seinem Licht zu den freien Stallabteilen. »Ich werde mich gleich um Eure Tiere kümmern, Herr Fal g on. Aber zuerst sollt Ihr und Euer junger Begleiter eine Schale Suppe bekommen, damit Ihr Euch wärmen könnt. Stellt die Rösser einfach neben Borke.«
Verunsichert suchte Ergil Blickkontakt mit dem Ziehvater.
»Das ist Dormunds Pferd«, erklärte Falgon, auf den Braunen deutend, während er mit seinem Rappen in den nächsten freien Stand ging.
Als Ergil den Hengst am Schmied vorbeiführte, glaubte er dessen neugierige Blicke sogar auf seinem Rücken zu spüren.
»Einen putzigen Kameraden habt Ihr da, junger Herr.«
Er g il wandte den Kopf, sodass seine Augen, der verschwommene Vogelschemen auf seiner Schulter und der knubbelige Zeigefinger des Gastgebers in eine unsichtbare Linie traten.
»Man sagt, Eulen seien Vögel der Weisheit«, fügte Dormund geheimnisvoll hinzu.
Ergil stutzte. Erst wollte er Dormund fragen, ob er nicht den Unterschied zwischen einem Eisvogel und einer Eule kenne, aber als das Federknäuel plötzlich sein Köpfchen drehte, bemerkte er den gekrümmten kurzen Schnabel und schluckte die Bemerkung hinunter.
»Hä t test mich ruhig vorwarnen können«, knirschte er zu dem Käuzchen.
Falgon grinste. »Jetzt siehst du mal, wie es mi r immer geht, wenn ich nicht weiß, mit wem von euch beiden ich es gerade z u tu n habe.«
Dormund musterte den Alten und seinen Begleiter, als sei e n sie nicht ganz richtig im Kopf. Höflich bot er noch einmal seine Dienste an.
Ergil wollte das Absatteln und Striegeln seines Pferdes lieber selbst erledigen. Bei dem Gedanken, sich bedienen zu lassen, fühlte er sich
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