Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
unbehaglich. Daran änderte auch das j e derzeit spürbare Selbstbewusstsein des Schmieds nichts, das trotz aller Respektsbekundungen nie den Eindruck einer kriecherischen Dienstbeflissenheit aufkommen ließ. Als Ergil sich jedoch anschickte, den Sattelgurt zu öffnen, eilte Dormund sogleich herbei.
»Nicht doch, junger Herr. Ihr seid Gast in meinem Haus und braucht das nicht zu tun!«
»Ich möchte es aber. Feuerwind lässt nicht jeden an sich heran.«
»Trigas Pferd trägt meine Hufeisen. Die kleinen Bosheiten des Rosses sind mir wohl bekannt.«
Ergil ersc h auerte. »Ihr kennt den vorherigen Eigentümer des Hengstes?«
»Und ob! Wie kommt es, dass Ihr jetzt seinen Fuchs reitet, junge r Herr?«
»Er hat den Verräter getötet«, antwortete Falgon an Ergils statt.
»Triga? Ein Verräter?« Der Schmied nickte voll stiller Ge nugtuung. »Ihr kennt meine Einstellung zu diesem ehrsüchtigen Mann, Waffenmeister. Ich habe ihm nie wirklich über den Weg getraut. Nichtsdestotrotz gehörte er weiland zu Torlunds kampferprobtesten Rittern…« Dormund ließ seine weiteren Überlegungen unausgesprochen. Während er sich mit der Hand über den kahlen Schädel strich, musterte er einmal mehr den jungen Gast mit jener scheuen Neugierde, die zu ertragen Ergil zunehmend schwer fiel.
Falgons wasserblaue Augen funkelten im Lampenlicht. Ihm schien das Räts e lspiel um die Identität seines jungen Begleiters Vergnügen zu bereiten. »Deine Höflichkeit verbietet dir auszusprechen, was du denkst, teurer Freund. Du siehst einen großen schmalen Jungen vor dir, auf dessen Oberlippe gerade der erste Milchflaum sprießt, und fragst dich, wie er einen solchen Recken besiegen konnte.«
»Offen gestanden, ja.«
»Du sollst alles erfahren – wenn wir erst deine Suppenschalen in der Hand halten. Wir zwei haben nämlich seit dem Morgen nichts Rechtes mehr gegessen.«
»Dann sollten wir keine Zeit verlieren, Herr Falgon. Meine Wissbegier bringt mich sonst noch um.« Dormund wandte sich wieder dem Jungen zu. »Bitte folgt mir hinüber ins Haus. Um Feuerwind kümmere ich mich gern. Er ist bei mir in guten Händen.«
Ergil zögerte.
»Was geht dir jetzt wieder durch den Kopf?«, seufzte Falgon.
»Wenn der Vagabund im Harnisch… ein Verräter war…« Den Jungen verließ der Mut.
Sein Ziehvater wandte sich lächelnd an den Schmied. »Er ist sich nicht sicher, ob er dir trauen kann, weil du Trigas Pferd beschla g en hast. Ich habe ihm erzählt, dass du mit deiner Familie auf der Sooderburg gelebt hast und was euch dort zugestoßen ist. Jetzt fragt er sich, wieso der Halunke dich nicht wiedererkannt hat, als er deine Dienste in Anspruch nahm.«
Dormund musterte Ergil nachdenklich, bevor er antwortete:
»Wäre der Hauptmann der Leibwache etwas weniger stolz und dafür ein bisschen wachsamer gewesen, dann hätte er mich erkennen müssen – wir sind uns in der Königsfestung tatsächlich mehrmals begegnet. Aber Triga achtete nicht auf Leute, deren Stand geringer als der seine war. Hinzu kommt, dass ich mich nach dem Tod meiner Frau und meines Töchterchens äußerlich sehr verändert habe. Mein schwarzes Haar wurde innerhalb weniger Tage schlohweiß. Ich bin – auch wenn ihr es mir kaum glauben mögt – dünner geworden. Und der Pflug des Kummers hat tiefe Furchen in mein ehemals feistes Gesicht gerissen, was heute umso deutlicher zu sehen ist, da ich keinen Bart mehr trage. Nachdem ich von der Sooderburg geflohen war, schor ich mein Haupt k ahl und legte ein Gelübde ab. Ich schwor bei De m - de r- tut - wa s- ihm - gefällt, dass ich mein Haar erst wieder wachsen lassen werde, wenn Torlunds Erbe nach Soodland zurückgekehrt ist und Wikander vom Knochenturm gestürzt hat.«
Ergil schluckte. »Und… wie kommt I hr darauf…? Ich meine, Torlunds Söhne sind doch von Wikander vergiftet worden.«
Eine unangenehme Stille entstand, in der die drei betretene Blicke tauschten.
»Lasst uns diese Fragen beim Essen klären«, sagte Falgon.
»Eines, Meister Dormund, würde ich allerdings gerne sofort erfahren – schon um deiner und unsrer Sicherheit willen: Fungor ist kaum noch wiederzuerkennen, seit ich das letzte Mal hier gewesen bin. Warum ziehen sich die Menschen bei Einbruch der Dunkelheit in ihre Häuser zurück, als wären sie Kaninchen, die einen Wolf gewittert haben? Und vor allem: Warum versiegelt ihr sämtliche Brunnen der Stadt?«
Ein erstaunter Ausdruck trat auf Dormunds Gesicht. »Das wiss t Ih r nicht?«
Falgon
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