Mirad 02 - Der König im König
Respekt zu verschaffen.
Múria verdrehte die Augen zum Himmel.
»Das ist mir klar«, erwiderte Grotebrecht. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass die Kunde so schnell über den Soodlandbelt dringt.«
»Ihr meint, die überraschende Nachricht von Eurem sangesfreudigen Gefangenen?«
»Überraschend? Ha!« Der Oberwärter lachte freudlos. »Das habt Ihr sehr feinfühlig ausgedrückt, mein König. Das Wort ›erschütternd‹ dürfte meine Seelenlage allerdings besser beschreiben.«
Inzwischen war auch Múria vom Wagen gestiegen und gab sich dem unglücklichen Hauptmann zu erkennen. Damit provozierte sie bei ihm einen neuerlichen Schwächeanfall.
»Beruhigt Euch, Grotebrecht«, sagte sie streng. »Und lasst uns bitte eintreten. Wir wollen kein Aufsehen erregen. Die Könige sind auf einer geheimen Mission.«
»Oh? Natürlich! Kommt nur herein. Ist mir sowieso lieber, wenn meine Schmach nicht gleich der ganzen Stadt zu Ohren kommt.«
Der Hauptmann gab den Weg in eine quadratische Halle frei, in der ein halbes Hundert Gefangene gleichzeitig in Empfang genommen werden konnte. Im Moment war sie, abgesehen von Grotebrecht und seinen Besuchern, allerdings leer.
Der Hausherr beäugte neugierig den kleinen Eulenvogel auf der Schulter seines obersten Dienstherren. Es war allgemein bekannt, dass die Herrscher von Soodland einen Vogel besaßen.
Múria kam ohne Umschweife zur Sache. »Mir scheint, Ihr und der König habt eben völlig aneinander vorbeigeredet, Hauptmann. Was hat Euch so, wie Ihr es ausdrücktet, erschüttert?«
Der Gefragte ließ den Kopf hängen, breitete die Hände aus und antwortete: »Na, die Flucht dieses Ungeheuers.«
»Flucht?«, wiederholte Falgon in drohendem Ton.
»Ihr redet doch nicht etwa von dem Gefangenen Kaguan?«, fügte Múria hinzu.
Jedes vorwurfsvolle Wort war wie ein Hammerschlag, der Grotebrecht ein wenig weiter in den Boden rammte. So jedenfalls sah es aus, weil er seinen Kopf immer tiefer zwischen den Schultern vergrub. Sichtlich zerknirscht antwortete er: »Ich kann mir das nicht erklären. Er war mit einem Mal einfach verschwunden. Als hätte er sich in Luft aufgelöst.«
»Ihr sprecht also von dem Sänger, der irgendetwas aus dem Eis heraufbeschworen hat?«, hakte die Hofgeschichtsschreiberin nach.
Niedergeschlagen bejahte der Hauptmann. Er habe sofort die eigene Wachmannschaft ausgesandt und auch die Stadtwache alarmiert, aber bis zur Stunde sei der Flüchtige von niemandem gesichtet, geschweige denn ergriffen worden. Grotebrecht drückte sein tiefstes Bedauern über den Vorfall aus, versprach die ganze Verantwortung zu übernehmen und am nächsten Morgen sein Entlassungsgesuch einzureichen.
Múria überhörte das Gejammer. »Wie habt Ihr das Verschwinden Eures Gefangenen bemerkt, Hauptmann?«
Ihr gutes Zureden half dem aufgelösten Vorsteher dabei, seine Gedanken zu ordnen. »Einen Insassen wie diesen Kaguan hat man nicht alle Tage«, begann er seinen Bericht. Der Fremde sei deshalb unter besonderer Beaufsichtigung gehalten worden. Andere Gefangene bekämen ihre tägliche Essensration oft einfach durch die Luke in die Zelle geschoben, ohne weiter beachtet zu werden. In diesem Fall waren die Wärter jedoch angewiesen worden, jedes Mal einen Blick auf ihren Schützling zu werfen. Schon am vergangenen Abend, also bei der allerersten Kontrolle, habe man die Zelle leer vorgefunden. Auf dem Boden lag nur noch der weite, schwarze Kapuzenmantel, den Kaguan sonst nie abzulegen pflegte.
Der Posten rief daraufhin Verstärkung. Vier Mann öffneten die Kerkertür und inspizierten jeden Winkel der ohnehin sehr übersichtlichen Zelle. Der Fremde blieb unauffindbar. »Und was das Merkwürdigste war«, schloss Grotebrecht, »plötzlich war auch sein Mantel verschwunden.«
Twikus bemerkte, wie Múria aufhorchte.
»Was sagt Ihr da?«
Der Hauptmann seufzte. »So wahr ich hier stehe, so ist es gewesen. Ich habe mich selbst davon überzeugt.«
»Seid Ihr je auf den Gedanken gekommen, Euer Gefangener könnte noch in der Zelle gewesen sein, als die Wachen eintraten?«
»Das ist schlechthin kaum möglich, Herrin. Es sind samt und sonders erfahrene Männer. Dieser Kaguan war ein Hüne. So einer schlüpft nicht mal eben durch vier Wärter hindurch.«
»Wenn er so gut wie unsichtbar ist, vielleicht doch.«
Nun merkte auch Falgon auf. »Du nimmst doch hoffentlich nicht das an, was ich vermute, Inimai.«
»Gib mir noch einen Moment, mein Lieber.« Sie wandte sich wieder dem Hauptmann zu. »Ihr
Weitere Kostenlose Bücher